Montag, 5. Mai 2014

"Das wird hier jetzt zu politisch". Einschätzungen zum Magdeburger Ableger der "Friedensbewegung 2014"

Nazi-Propaganda in der ersten Reihe: "Demokratie heißt Volkstod"
Seit mehreren Wochen mobilisiert die mittlerweile hinlänglich bekannte „Friedensbewegung 2014“ zu montäglichen Mahnwachen „Für Frieden in Europa und der Welt“ und „Gegen die Todespolitik der Federal Reserve Bank“. Diese Mahnwachen fanden und finden bereits in über 20 Städten statt, so auch in Magdeburg. Die Linksjugend ['solid] Magdeburg warnte bereits am 31. März vor dieser „Friedensdemonstration“ und beleuchtete ein paar relevante politische Hintergründe. Es konnte eine „üble Mischung aus verschwörungsideologischem Denken, rechtsesoterischer Lyrik, zutiefst antisemitischer Bildsprache und Truther-Propaganda“ nachgewiesen werden. Auf unseren Artikel bezogen sich u.a. telepolis, der ZEIT.Störungsmelder, mehrere Artikel bei Linksunten, die TAZ oder das "Neues Deutschland". Außerdem wurde der Querfrontstratege Jürgen Elsässer in Hamburg ausgeladen, der dort ursprünglich sprechen sollte.
Nach diesem und zahlreichen anderen Texten, Interviews und kritischen Berichten folgte ein  regelrechter Shitstorm gegen Internetseiten und social-media-Präsenzen unterschiedlicher deutschsprachiger Medien sowie Facebookseiten mehrerer ['solid]-, SDS- und Linksparteigruppen. Spätestens seitdem ist offensichtlich, dass Teile der neuen „Friedensbewegung“ mit äußerster Vorsicht zu genießen sind, wenngleich wir betonen, dass wir niemals und zu keiner Zeit behauptet haben, es handle sich dabei um eine homogene Bewegung, bei der alle Beteiligten über einen Kamm zu scheren wären. Das Gegenteil ist der Fall: "Wir möchten mit diesem Text nicht zum Ausdruck bringen, dass wir denken, dass alle Teilnehmer*innen die Gesinnung [...] teilen, sondern lediglich darauf hinweisen, aus welcher "Ecke" diese Demonstration kommt, damit am Ende niemand sagen kann, er*sie hätte von nichts gewusst."

Bereits am 14.4.2014 fungierten wir als kritische Beobachter*innen auf der ersten "Demonstration
Nazi aus der aufgelösten Kameradschaft "Festungsstadt Magdeburg"
FÜR den Frieden" in Magdeburg, von welcher wir eher mit einem Gefühl der Erschütterung wiederkehrten. Dadurch, dass seitens der Veranstalter*innen keine Abgrenzung gegen rechts stattfand und das Rechts-Links-Schema mit esoterischen Phrasen ständig negiert wurde (
"Es gibt kein rechts und links mehr, es gibt nur noch Menschen"), tummelten sich unter den ca. 200 Teilnehmer*innen erwartungsgemäß einige stadtbekannte Neonazis. Identifiziert worden sind u.a. Frank Hoffmann und der Ex-NPD-Kader Stefan Träger. Ebenfalls gesichtet: Angehörige der Nazi-Hool-Gruppierung BlueWhiteStreetElite sowie Ex-Angehörige der aufgelösten Kameradschaft "Festungsstadt Magdeburg". Ein "Highlight" im negativen Sinn war das Schild eines Demonstrationsteilnehmers mit der Aufschrift: "Demokratie heißt Volkstod", einer Chiffre, die eindeutig aus dem (neo)nazistischen Milieu kommt und sehr häufig Anwendung findet bei den sogenannten "Unsterblichen-Aufmärschen". Die Inhalte der unterschiedlichen Redebeiträge waren eher schwammiger Natur, langatmig und durchsetzt von kruden Verschwörungstheorien bzw. verschwörungsideologischem Denken. So gab es es Redner*innen die einfach nach mehr "Menschlichkeit" und Verständnis" fragten, jedoch auch andere, die u. a. zum Wahlboykott aufriefen, die "Souveränität Deutschlands" von den "alliierten Besatzern" forderten, zum Shitstorm gegen "die Mainstreammedien" aufriefen, die "NSA-gesteuerte" Presse kollektiv an den Pranger stellten und Grußworte sowie Allerwelts-Heil-Pläne der Berliner Friedensbewegung-Fraktion vorstellten. Eine Aufzeichnung der gesamten Veranstaltung lässt sich für alle Interessierten hier abrufen: http://youtu.be/4zEK1nFmg5E. Unsere persönliche Top5-Zitate-Liste möchten wir euch aber nicht vorenhalten:
Platz 5: Politiker sind "dieselben Wölfe, die sich mit in Taiwan gefertigten Dildos ohne Gleitgel rektal von der Industrielobby penetrieren lassen, um danach artig nach einem Nachschlag zu verlangen" (Orga-Team)
Platz 4: "Die Herde Europa, die Schafherde, wird von den Amerikanern zur Schlachtbank geführt, und es interessiert kein Schwein." (Teilnehmer)
Platz 3: "egal ob Russland oder die USA hier durchmarschieren, wir sind vogelfrei, das heißt, wenn jemand uns umsäbelt, kann weder Russland noch USA dafür belangt werden und das liegt daran, dass wir eben keine Verfassung haben." (Orga-Team)
Platz 2: "Deutschland steht halt mit 54 Nationen im Krieg" (Orga-Team)
Platz 1: "Wir haben keinen Plan" (Orga-Team)
Für die zweite Veranstaltung am 28.4. nahmen sich einige aus unserer Gruppe vor, nicht nur als kritische Beobachter*innen herzuhalten, sondern diesmal auch auch den einen oder anderen  kritischen Redebeitrag am offenen Mikrofon zu halten, um dem politikverdrossenen, verschwörungsideologischen und schwammigen Grundtenor des "Friedensforums" - nach der ersten Mahnwache hatte sich das hiesige Orga-Team auf einen neuen Titel der Veranstaltung verständigt - mit politischen Inhalten ein wenig entgegenzuwirken. Wir waren aber nicht die einzigen "Linken", die sich zur beobachtenden Intervention respektive interventionistischen Beobachtung entschlossen hatten. So gab es von einigen Redner*innen zum Beispiel den Hinweis darauf, wie wichtig es sei, sich als Veranstalter solcher Kundgebungen deutlich gegen rechts auszusprechen, um neonazistisches Publikum von vornherein auszuschließen. Die Organisatoren des "Friedensforums" positionierten sich tatsächlich zu Beginn der Veranstaltung dahingehend, sich von "Faschismus" - was auch immer er darunter verstand - zu distanzieren. Uns erschien dieses Lippenbekenntnis jedoch etwas halbherzig, denn wenig später verlas ein weiteres Mitglied der Führungsstruktur ein Grußwort aus Berlin, welches aus der Feder des Berliner Organisators Lars. M. und des Geschichtsrevisionisten und Holocaustrelativierers Ralf S. stammte. Andere Punkte, die kritische Redner_innen anbringen konnten waren die Unsinnig- und Gefährlichkeit von Verschwörungstheorien sowie der Verweis auf bereits existente Initiativen für den Frieden, die frei sind derlei Absurdität, wie zum Beispiel die große außerparlamentarische Oppositionsorganisation "campact" , das WAR STARTS HERE *CAMP* und die Bürgerinitiative OFFENe HEIDe, die sich seit über 20 Jahren für eine zivile Nutzung der Colbitz-Letzlinger Heide stark macht und zusammen mit vielen anderen Antimilitaristen gegen das GÜZ Schnöggersburg kämpft. Bezeichnenderweise unterbrach jemand aus dem Orgakreis den ersten kritischen Redner bereits nach 5 Minuten, um ihm mitzuteilen: "Beende mal deinen Redebeitrag, das wird hier zu politisch". Weiterhin fragten einige Redner*innen nach konkreten Inhalten und Zielen des Friedensforums. Die Antwort: Man wolle später am Abend Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themen wie zum Beispiel "dem Sozialsystem" oder "gesunder Ernährung" bilden und innerhalb von einer Stunde konkrete Inhalte ausarbeiten, die dann "den Frieden einleiten" sollten.

Es gab allerdings auch Redebeiträge von eindeutig rechtsoffenen Teilnehmern. So wurde des Öfteren die Aufforderung artikuliert, endlich "dieses Rechts-Links-Denken" aufzugeben, da wir doch alle eine "Gemeinschaft" und ein "Volk" seien sowie den Wunsch, man solle endlich aufhören, ständig von "Anti-Anti-Anti" zu sprechen (gemeint ist Antifaschismus, Antirassismus etc.), da "wir alle" doch nicht gegen etwas, sondern für etwas - nämlich den Frieden - seien. Höhepunkt dieser Art von Beiträge bildete der Rap eines Wortführers, der sexistische sowie zutiefst geschichtsrevisionistische Elemente enthielt 
Auszug aus den Lyrics: "Fotze Timoschenko" und "BAGiii-70-Jahre-später: Hey Mr. Koks-Friedmann, wir Deutsche sind keine Täter... Hör mal auf zu fluchen, geh vor deiner fucking Haustür suchen"
Die FED als Wurzel allen Übels?
Die von kritischen Redner*innen und Anhänger*innen der Linksjugend geäußerten Beiträge sind unserer Einschätzung nach eher auf Unverständnis und Ablehnung gestoßen. So fragte ein Teilnehmer nach einem kritischen Beitrag zum Beispiel sofort, welche die Quellen des Redners seien, wohl um ihn damit zu delegitimieren. Im Nachhinein ergaben sich in der Friedensforum-Gruppe auf facebook einige Diskussionen, in welchen Anhänger*innen der Linksjugend u. a. vorgeworfen wurde, Wahlwerbung zu betreiben sowie mithilfe von Rhethorikgeschick bewusst das "Friedensforum" und seine Teilnehmer zu "manipulieren". Sowieso herrscht dort eine deutliche Parteiverdrossenheit im "Friedensforum", die prinzipiell aber niemandem zu verdenken ist, wäre da nicht die krasse antidemokratische Grundhaltung einiger "Friedensfreunde" [1].

Unser Zwischenfazit: Die neue "Montagsdemo" in Magdeburg mit ihren ca. 30 Besucher*innen ist viel zu klein, als dass sie eine wirkliche Gefahr darstellen könnte und in der Tendenz eher harmlos, was v.a. an einigen Wechseln im Orgakreis liegt, die die Position der Reichsbürgerirren und Chemtrailer stark geschwächt hat. Allerdings mischt dort jetzt ein Stadtratskandidat der nationalneoliberal-rechtspopulistischen AfD mit, der heute aber - immerhin - nicht reden darf. Da diese "Friedensmahnwache" sich aber immernoch zu stark anti-links und rechtsoffen gibt, werden wir eine Partizipation auch weiterin vermeiden, denn Faschismus und Nationalismus bedeuten in letzter Konsequenz immer Krieg, weswegen mit Reaktionären dieser Couleur niemals und unter keinen Umständen Frieden zu machen ist. Was bleibt, ist ein Unbehagen darüber, wie leicht junge Menschen plumpen Verschwörungsideologien und Geschichtsrevisionismus auf den Leim gehen können. Im Gegensatz zum Wolmirstedter "Ostermarsch" handelte es sich um eine Veranstaltung "für den Frieden", auf welcher mensch sich als kritische*r Besucher*in, der mit der bisherigen Ausrichtung der "Friedensbewegung 2014" erkennbar unzufrieden ist, schlicht unwohl fühlte. Für die Zukunft werden wir uns trotzdem weiterhin friedenspolitisch und antimilitaristisch engagieren, in Projekten und Initiativen, die frei sind von Nationalismus, Antisemitismus und kruden Verschwörungsideologien.

Für weitere kritische Beobachtungen über die sog. "Friedensbewegung 2014" empfehlen wir die facebook-Seite "Friedensdemo-Watch", die u.a. viele kritische Analysen und Kommentare enthält und auf weitere Seiten verlinkt, die sich mit dem Thema auseinander setzen.

Quelle: Webseite der NPD
Hinweis: Mittlerweile hat die NPD, wie es bereits auch bei anderen  Querfront-Veranstaltungen in Städten in Deutschland geschieht, ihre  Unterstützung zugesichert, indem sie "sich ab sofort dezent, aber sichtbar in die neue deutsche Oppositionsbewegung" einbringt. Bekannte NPD-Funktionäre wurden jedoch bisher noch nicht auf den Veranstaltungen in Magdeburg gesichtet.

[1] Sehr aktiv im "Friedensforum" unterwegs: Dt. Michel, seines Zeichens "Reichsbürger", der am 14.04. einen Redebeitrag halten durfte, in dessen Mitte er "AMI GO HOME" in die Menge brüllte.

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