Dienstag, 2. Oktober 2012

Olvenstedt: "Neues" Wappen mit brauner Vergangenheit

Curt von Ulrich (NSDAP) [4]
Einige BürgerInnen des Magdeburger Stadtteils Olvenstedt, die sich in der Arbeitsgruppe für Gemeinwesenarbeit (GWA) engagieren, zeigen sich dieser Tage besonders "heimatverbunden". In der Volksstimme ist heute zu lesen, dass sich die GWA darauf verständigt hat, eine Flagge zu entwerfen, die der "Heimatverbundenheit" Ausdruck verleihen soll. Diese Flagge ziert ein Wappen mit fragwürdigen historischen Wurzeln. Im Volksstimme-Artikel heißt es: "Das Wappen hatte Staatsarchivar Otto Korn (1898 bis 1955) für das damalige Bördedorf Olvenstedt entworfen. Im Juli 1937 ist das Konterfei durch den Oberpräsidenten der Provinz Sachsen verliehen worden. Künftig wird die Flagge Gärten und Höfe zieren und soll bei Veranstaltungen den heutigen Stadtteil repräsentieren, der 1979 von Magdeburg eingemeindet wurde." [1].

1937? Mit dem entsprechenden Bauchgefühl und einer etwa 30-sekündigen Recherche konnten wir dank Wikipedia herausfinden, wer denn dieser Oberpräsident der Provinz Sachsen gewesen ist, der dem damaligen Bördedorf ein Wappen verlieh: Curt von Ulrich, überzeugter Nationalsozialist, NSDAP-Mitglied und Reichtagsabgeordneter für die NSDAP von 1930 bis Kriegsende.
Seit  1925 war Ulrich NSDAP-Mitglied und gehörte damit zu den "Nazis der ersten Stunde" im Deutschen Reich. Zudem hatte er hohe Funktionen in der  SA, SS und HJ inne und gehörte damit zu jenen Organisationen, die im Zuge der Nürnberger Prozesse als "verbrecherischen Organisationen" eingestuft. Als Oberpräsident der Provinz Sachsen bekleidete der "Träger des goldenen Ehrenzeichens des NSDAP" zudem eines der höchsten Ämter im nationalsozialistischen Deutschland. [2]

Auch Staatsarchivar Otto Korn war Mitglied der NSDAP [3] . Der seit Mai 1933 als Mitglied der NSDAP verzeichnete Otto Korn befand sich seit 1936 als Archivar in Magdeburg. Zeit seines Lebens entwarf er für Gemeinden und Kommunen Wappen, die sicher der völkisch-nationalen und regionalen Identitätsstiftung dienen sollten. Über die NSDAP-Mitgliedschaft des Staatsarchivars darf keineswegs hinweg gesehen werden.

Liebe OlvenstederInnen: "Heimatgefühl" hin oder her - hätte es denn kein anderes Wappen sein können? Muss es ausgerechnet dieses von Nationalsozialisten geschaffene und verliehene Wappen sein? Ist Ihnen bewusst, welche Symbolwirkung davon ausgeht, wenn sie sich diese Fahne in den Vorgarten hängen? Die Reproduktion von Erzeugnissen aus der Nazizeit - in diesem Falle handelt es sich immerhin um den Wappenentwurf eines der Chef-Heraldiker der Nazis - muss dringend vermieden werden. Ein derartig unreflektiertes Hervorholen belasteter Relikte aus der NS-Zeit ist nicht akzeptabel. Wir würden uns einen sensibleren Umgang mit der deutschen Geschichte wünschen. Unser Gedenken liegt bei den Opfern des Nationalsozialismus, nicht  bei den Tätern und ihrem Wirken!

[1] Volksstimme-Artikel vom 02.10.12: http://www.volksstimme.de/nachrichten/magdeburg/942297_Olvenstedter-zeigen-Flagge-und-Heimatverbundenheit.html (siehe Update vom 03.10. 09:27 Uhr)
[3] Wikipedia-Artikel: http://de.wikipedia.org/wiki/Otto_Korn
[4] Bildquelle: http://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Datei:UlrichCurtvon.jpg&filetimestamp=20091129190614

[Update 03.10.2012, 09:27 Uhr] Inzwischen gibt es eine Reaktion in der Volksstimme, die unseren Artikel aufgreift. Irritierenderweise lässt sich dieser aber ebenfalls unter der von uns unter Quelle 1 geführten URL aufrufen, was bedeutet, dass der Ursprungsartikel und Stein des Anstoßes dort überschrieben wurde. Den Ursprungsartikel, auf den wir uns beziehen, findet man aber noch weiter unter:
[5] Volksstimme-Artikel vom 02.10.12: http://www.volksstimme.de/aboservice/volksstimme.de_newsletter/942425_Olvenstedter-zeigen-Flagge-und-Heimatverbundenheit.html

3 Kommentare:

  1. Was ist eigentlich "antinationalistisch" daran, sich in die Diskussion einzumsichen, wie ein angemessenes Wappen für Heimatverbundenheit auszusehen hat? Was für eine Art von Kritik bringt ihr hervor, wenn ihr euch Sorgen um das Ansehen Olvenstedts macht?

    Erstaunt es euch denn nicht, dass es offensichtlich in der Demokratie wie im Faschismus das selbe Bedürfnis gibt, sich zu dem Flecken zu bekennen an dem man lebt? Und dass nicht mal die Geschmäcker darüber auseinander gehen, welches Symbol dafür taugt?
    Immerzu grenzt ihr euch vom Heimatgedanken ab: Ohne Anführungszeichen wollt ihr ihn nicht in euren Text setzen. Aber habt ihr auch was dagegen einzuwenden?

    Was haben sie denn miteinander zu schaffen, die „Gewerbetreibenden, Bewohner, Vereine und Sympathisanten“, was macht eigentlich deren Zusammenhalt aus?
    Was denkt sich denn wohl einer, der sich so eine Fahne in seinen Garten hängt?

    Ich sage, einen ziemlich armseligen Gedanken: Der Mensch braucht doch einen Ort, an den er gehört, wo er sich zu Hause fühlt. Wo er Teil von etwas Größerem ist und nicht bloß der arme Schlucker, der er sonst wäre.
    Seine Liebe zur Heimat bezeugen heißt, sich als Teil einer Schicksalsgemeinschaft zu begreifen.
    Heimatverbundenheit kommt auch nie mit besonders hohen Ansprüchen an das eigene Wohlergehen daher. Und wenn ganze Dörfer in Sachen Anhalts Steppe verwaisen, können sich die Übriggebliebenen immer noch eine Menge darauf einbilden, dass ihnen zumindest noch ihre Heimat bleibt und die Treue, die sie ihr erweisen.
    Der Heimatdusel ist das freie Produkt eines untertänigen Geistes, das er ganz von selbst hervorbringt. Folglich ist er auch beim Herrschaftspersonal stets willkommen und wird eifrig gepflegt.

    „Ein sensiblerer Umgang mit der deutschen Geschichte, die Vermeidung der Reproduktion von Erzeugnissen der Nazizeit und Opfergedenken“: Mit lauter gut gemeinten Ratschlägen widmet ihr euch der Frage, was die geläuterte Nation braucht, um einen akzeptablen Eindruck zu hinterlassen.
    So definiert ihr die Kriterien, nach denen sogar ihr als Linke Toleranz aufbringen wollt für die Sehnsucht nach Heimat. Und so verpasst ihr glatt die ekelhafte Leistung, die sie auch in diesen Tagen vollbringt.

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    1. Hallo Kabaty,

      unser vorrangiges Interesse bei diesem Thema war es, zunächst einmal auf das eklatante Problem hinzuweisen, dass hier NS-Erzeugnisse völlig unreflektiert benutzt werden. Wie sich nun herausstellt, gießt die Volksstimme weiter Öl ins Feuer. Einige AnwohnerInnen fühlen sich bereits als Nazis stigmatisiert. Die GWA-Sprecherin fürchtet um ihren Ruf. Sie besitzt einen kleinen Laden. Wenn wir den Diskurs mit diesen Menschen, die unreflektiert handeln, unsensibel handeln und auf der Suche nach etwas sind, an dem sie sich festhalten können, wirklich führen wollen, nützt eine Kommunikationsstrategie à la antinationalistischer Fundamentalkritik rein gar nichts. Damit könnten wir das Problem zwar aus linker Perspektive einkreisen und einhegen, aber wem nützt das? Damit hätten wir lediglich einen Text abgeliefert, der Reflektion bei Leuten auslöst, die das möglicherweise ohnehin nicht mehr brauchen, weil sie im Kern ohnehin latente Probleme mit Heimat, Nation, Staat usw. haben.

      Was wir wollen, ist der Diskurs mit den Leuten vor Ort. Wir wollen mit ihnen ins Gespräch kommen, statt sich gegenseitig auf schriftlichem Wege voneinander abzugrenzen. Es wird dann eh immer nur das gelesen, was mensch lesen will. Die Kernbotschaften gehen verloren. Diese wollen wir aber gerne mündlich artikulieren. Dementsprechend wird es in naher Zukunft ein öffentliches Forum in Olvenstedt geben, da der aufgewirbelte Staub mittlerweile enorm ist. Mit letzterem haben wir kein Problem. Genau das haben wir bezweckt. Wir haben aber ein Problem damit, wenn aufgrunddessen Leute mit Stigmata belegt werden, die ihnen nicht gerecht werden, die pauschal verteilt werden. Menschen, die sich in der Ecke wähnen, sind nicht mehr zum Reden bereit und verweigern sich somit der Reflektion. Damit hätten wir keinen einzigen Blumentopf gewonnen.

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    2. Doppellistig: ihr sagt zum einen, dass es euch einzig um die braunen Flecken auf der weißen Weste „unseres Gemeinwesens“ geht: Mit der NS-Vergangenheit soll heutzutage kein Wappen, kein Symbol mehr in Verbindung stehen (in anderen Städten geht’s dann um Straßennamen oder was auch immer).
      Und zum anderen sagt ihr mir, dass es strategisch wirklich ungeschickt wäre, die sich geradezu aufdrängenden Fragen – wozu soll Heimat eigentlich gut sein? - zu stellen. Was ihr doch ehrlicher Weise gar nicht vorhabt.

      Wenn ihr der „Fundamentalkritik“ schon von vornherein keine andere Leistung zutraut, als bereits gefestigte Parteilichkeiten – bei Befürwortern wie Gegnern der Sache – aufzuwärmen, kann es um diese Kritik nicht besonders gut stehen.
      Ich hoffe jetzt halt mal, dass eure Behauptung, keinen Bock auf Nationalismus und Kapitalismus zu haben, keine von euren Strategien ist. Dann stellt sich schon die Frage, wie ihr den Standpunkt jenen Leuten schmackhaft machen wollt, die gar keine „latenten (???) Probleme mit Heimat, Nation, Staat, usw.“ haben.

      Die Probleme, die die Leute so mit dem Staat haben, sind überhaupt nicht latent, die kriegen sie unmittelbar zu spüren. Etwa wenn ihnen in Zeitung und Fernsehen die Unvermeidbarkeit erklärt wird, dass sie gefälligst bis ins hohe Alter zu Arbeiten haben und dann am besten umfallen, weil die Rente kaum zum Leben reicht. Und wer zwischendurch den Job verliert, weil's hier gar nicht um Arbeit geht sondern um gewinnbringende Arbeit, und wem dann womöglich auch noch eine Lücke in der „Erwerbsbiographie“ droht, ist eh unten durch.
      An Schäden, die die Leute von ihrer Benutzung für Staat und Kapital davon tragen, mangelt es nun wirklich nicht. Und es gibt keine Härte, die nicht als „Sachzwang“, „unvermeidlich“ und „alternativlos“ daherkommt. Als Notwendigkeiten dieses Gemeinwesens und damit als Argument gegen es will sie aber keiner begreifen.
      Das muss an deren patriotischer Gesinnung liegen. Die ist nicht das Ergebnis von „Unreflektiertheit“ sondern eine ganz außerordentliche Leistung des Willens. Einem unreflektierten Wesen, sagen wir einem jungen Kind, ist sie jedenfalls kaum zuzutrauen.
      Wollt ihr davon nur die braunen Flecken waschen und sie sonst unangetastet lassen?

      Wärmstens empfehlen möchte ich euch das neue Buch von Freerk Huisken zum Elend der Kritik am (Neo)-Faschismus:
      http://www.vsa-verlag.de/nc/buecher/detail/artikel/der-demokratische-schoss-ist-fruchtbar

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