Heute, auf den Tag genau 20 Jahre danach, erleben
Opfer, Antifaschist*innen und Linke ein böses Erwachen. Vor wenigen
Tagen verkündete Bundespräsident Joachim Gauck, er wolle am 26. August
einen Baum direkt vor dem „Sonnenblumenhaus“ pflanzen. Es handelt sich
dabei jedoch nicht um irgendeinen Baum, sondern um eine „Deutsche
Eiche“. „Die Symbolwirkung, eine „Deutsche Eiche“ im Rahmen der
Gedenkveranstaltungen zu pflanzen, ist verheerend. Die „Deutsche Eiche“
wurde seit jeher für politische Zwecke instrumentalisiert und ist das
Symbol schlechthin für Nationalismus, Militarismus und germanische
Mystik. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Hitler am 1. Mai 1933
im ganzen Reich „Deutsche Eichen“ pflanzen ließ. Gauck und das Bündnis
„Lichtenhagen bewegt sich“ agieren hier mit der Feinfühligkeit einer
Planierraupe, als wollten sie nicht der Opfer, sondern der Täter, dem
Volksmob, gedenken – oder gar danken.“, erklärt der flüchtlingspolitische Sprecher der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt, Robert Fietzke.
Doch nicht nur Joachim Gauck sorgt für
Schlagzeilen. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Caffier (CDU)
verkündete vorgestern, es werde ein Großaufgebot der Polizei geben: „Es wird nicht passieren, dass wir zu wenige Einsatzkräfte haben. Da bin ich ein gebranntes Kind“.
Gleichzeitig warnt er reflexhaft vor „gewaltbereiten Linksextremisten“.
Tobias Koralus, Landessprecher der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt,
kritisiert „hier werde dieselbe Täter-Opfer-Umkehr betrieben wie vor
20 Jahren, als tausende Antifaschist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet
anreisten, um die im Haus befindlichen Pogromopfer zu verteidigen und
die Polizei dieser Hilfeleistung mit unfassbaren Repressalien,
Festnahmen usw. begegnete. Gleichzeitig ließ sie den Mob schalten und
walten, zog sich zurück, ließ die Opfer im Stich. Nun werden
Antifaschist*innen und Antirassist*innen, also Menschen, die der Opfer
gedenken wollen, erneut kriminalisiert und als „gewaltbereit“
gebrandmarkt, mit Neonazis auf eine Stufe gestellt. Das ist
ungeheuerlich und lässt tief blicken. 20 Jahre nach diesem schwersten
Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte ist bei den Verantwortlichen
von damals und heute scheinbar nicht viel im Kopf passiert.“
Die Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt beschäftigt
sich seit einigen Wochen mit der Thematik. Der Jugendverband wird am
25.08. mit einem vollbesetzten Bus nach Rostock-Lichtenhagen fahren, um
an der bundesweiten antirassistischen Gedenkdemonstration durch den
Rostocker Stadtteil teilzunehmen. Im Zuge der Mobilisierung gab es
bereits einige Informationsveranstaltungen. Heute, am 20. Jahrestag,
findet die letzte dieser Reihe statt: im Anschluss an den Film „The
truth lies in Rostock“ steht Torsten Hahnel vom Verein Miteinander als
Zeitzeuge und Gesprächspartner zur Verfügung. Die Veranstaltung findet
im VL Ludwigstraße 37 in Halle (Saale) statt und beginnt um 18:00 Uhr.
Veranstalterin ist die Linksjugend ['solid] Halle. Einen interessanten
Bericht zur Veranstaltung in Magdeburg vom 08. August gibt es hier: http://linke-jugend-md.blogspot.de/2012/08/noch-heute-habe-ich-gansehaut-wenn-ich.html
„Am Samstag muss ein starkes und deutliches
Signal von Rostock ausgehen, dass wir uns mit rhetorischen
Ablenkmanövern, Verharmlosungen und den üblichen Aussagen der
Verantwortlichen, die ebenso schnell verpuffen, wie sie gesagt werden,
nicht abfinden werden. Rassismus ist ein zutiefst innerhalb der
Gesellschaft verwurzeltes Problem. Insbesondere der institutionalisierte
und staatliche Rassismus befeuert und katalysiert fremdenfeindlichen
Hass, der in einem derartigen Fanal, wie dem Pogrom von
Rostock-Lichtenhagen, münden kann. Insbesondere die rassistische
Asylgesetzgebung trägt erheblich dazu bei, fremdenfeindliche
Grundstimmungen innerhalb der Bevölkerung zu schüren. Wir fordern eine
menschenwürdige Unterbringung und Versorgung für Asylbewerber*innen und
Flüchtlingen, eine verbesserte Inklusion durch die Bereitstellung von
dezentralem und stadtnahen Wohnraum, eine an den Menschenrechten
orientierte Asylgesetzgebung und die sofortige Schließung aller
Abschiebegefängnisse. Wir fahren am Samstag nach Rostock, um genau dafür
einzustehen und der Pogromopfer sowie allen Menschen, die tagtäglich
rassistischen Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt sind, zu gedenken!“, erklärt Fietzke abschließend.
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