Mittwoch, 22. August 2012

20 Jahre nach Rostock-Lichtenhagen – Mit dem Feingefühl einer Planierraupe

Heute, auf den Tag genau 20 Jahre danach, erleben Opfer, Antifaschist*innen und Linke ein böses Erwachen. Vor wenigen Tagen verkündete Bundespräsident Joachim Gauck, er wolle am 26. August einen Baum direkt vor dem „Sonnenblumenhaus“ pflanzen. Es handelt sich dabei jedoch nicht um irgendeinen Baum, sondern um eine „Deutsche Eiche“. „Die Symbolwirkung, eine „Deutsche Eiche“ im Rahmen der Gedenkveranstaltungen zu pflanzen, ist verheerend. Die „Deutsche Eiche“ wurde seit jeher für politische Zwecke instrumentalisiert und ist das Symbol schlechthin für Nationalismus, Militarismus und germanische Mystik. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass Hitler am 1. Mai 1933 im ganzen Reich „Deutsche Eichen“ pflanzen ließ. Gauck und das Bündnis „Lichtenhagen bewegt sich“ agieren hier mit der Feinfühligkeit einer Planierraupe, als wollten sie nicht der Opfer, sondern der Täter, dem Volksmob, gedenken – oder gar danken.“, erklärt der flüchtlingspolitische Sprecher der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt, Robert Fietzke. 


Doch nicht nur Joachim Gauck sorgt für Schlagzeilen. Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Caffier (CDU) verkündete vorgestern, es werde ein Großaufgebot der Polizei geben: „Es wird nicht passieren, dass wir zu wenige Einsatzkräfte haben. Da bin ich ein gebranntes Kind“. Gleichzeitig warnt er reflexhaft vor „gewaltbereiten Linksextremisten“. Tobias Koralus, Landessprecher der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt, kritisiert „hier werde dieselbe Täter-Opfer-Umkehr betrieben wie vor 20 Jahren, als tausende Antifaschist*innen aus dem ganzen Bundesgebiet anreisten, um die im Haus befindlichen Pogromopfer zu verteidigen und die Polizei dieser Hilfeleistung mit unfassbaren Repressalien, Festnahmen usw. begegnete. Gleichzeitig ließ sie den Mob schalten und walten, zog sich zurück, ließ die Opfer im Stich. Nun werden Antifaschist*innen und Antirassist*innen, also Menschen, die der Opfer gedenken wollen, erneut kriminalisiert und als „gewaltbereit“ gebrandmarkt, mit Neonazis auf eine Stufe gestellt. Das ist ungeheuerlich und lässt tief blicken. 20 Jahre nach diesem schwersten Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte ist bei den Verantwortlichen von damals und heute scheinbar nicht viel im Kopf passiert.“


Die Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt beschäftigt sich seit einigen Wochen mit der Thematik. Der Jugendverband wird am 25.08. mit einem vollbesetzten Bus nach Rostock-Lichtenhagen fahren, um an der bundesweiten antirassistischen Gedenkdemonstration durch den Rostocker Stadtteil teilzunehmen. Im Zuge der Mobilisierung gab es bereits einige Informationsveranstaltungen. Heute, am 20. Jahrestag, findet die letzte dieser Reihe statt: im Anschluss an den Film „The truth lies in Rostock“ steht Torsten Hahnel vom Verein Miteinander als Zeitzeuge und Gesprächspartner zur Verfügung. Die Veranstaltung findet im VL Ludwigstraße 37 in Halle (Saale) statt und beginnt um 18:00 Uhr. Veranstalterin ist die Linksjugend ['solid] Halle. Einen interessanten Bericht zur Veranstaltung in Magdeburg vom 08. August gibt es hier: http://linke-jugend-md.blogspot.de/2012/08/noch-heute-habe-ich-gansehaut-wenn-ich.html
 

Am Samstag muss ein starkes und deutliches Signal von Rostock ausgehen, dass wir uns mit rhetorischen Ablenkmanövern, Verharmlosungen und den üblichen Aussagen der Verantwortlichen, die ebenso schnell verpuffen, wie sie gesagt werden, nicht abfinden werden. Rassismus ist ein zutiefst innerhalb der Gesellschaft verwurzeltes Problem. Insbesondere der institutionalisierte und staatliche Rassismus befeuert und katalysiert fremdenfeindlichen Hass, der in einem derartigen Fanal, wie dem Pogrom von Rostock-Lichtenhagen, münden kann. Insbesondere die rassistische Asylgesetzgebung trägt erheblich dazu bei, fremdenfeindliche Grundstimmungen innerhalb der Bevölkerung zu schüren. Wir fordern eine menschenwürdige Unterbringung und Versorgung für Asylbewerber*innen und Flüchtlingen, eine verbesserte Inklusion durch die Bereitstellung von dezentralem und stadtnahen Wohnraum, eine an den Menschenrechten orientierte Asylgesetzgebung und die sofortige Schließung aller Abschiebegefängnisse. Wir fahren am Samstag nach Rostock, um genau dafür einzustehen und der Pogromopfer sowie allen Menschen, die tagtäglich rassistischen Anfeindungen und Gewalt ausgesetzt sind, zu gedenken!“, erklärt Fietzke abschließend.

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