Montag, 20. Februar 2012

Bericht zum 13. und 18. Februar in Dresden

Der größte Naziaufmarsch Europas ist Geschichte



mehr Bilder in der Galerie: http://www.linksjugend-lsa.de/aktionen_kampagnen/berichte/#c44757
(rf) Sie haben aufgegeben. Sie sind nicht gekommen. Sie glaubten nicht daran, angesichts von tausenden GegendemonstrantInnen und mit der Demütigung zweier blockierter Aufmärsche im Gedächtnis, einen weiteren Aufmarsch durchführen zu können.


Zum ersten Mal seit 2004, als die Nazis zusätzlich zum Trauermarsch am 13. Februar einen Großaufmarsch am Wochenende, 14. Februar, mit über 2000 Nazis durchführten, kamen sie nicht nach Dresden. Die  erfolgreichen Blockaden der Jahre 2010 und 2011 haben bewirkt, was sie bewirken sollten: die Aufmärsche stoppen und die FaschistInnen demoralisieren. Erneut bereiteten sich über 10.000 Menschen aus allen möglichen Bundesländern sowie aus dem Ausland, darauf vor, einen möglichen Aufmarsch am 18. Februar 2012 zu blockieren, obwohl bereits Wochen vorher das Gerücht die Runde machte, die Nazis würden erstmalig davon absehen, zum 18. zu mobilisieren. Rechercheversuche skizzierten schon vor mehreren Wochen, dass deren Fokus auf dem 13. Februar, das Datum der Bombardierung Dresdens, liegen würde und keine Demonstrationsanmeldung für das darauf folgende Wochenende vorliegen wird. Das „Bündnis Dresden Nazifrei“ bat darum, zu beiden Tagen zu mobilisieren und strickte an einem Konzept für eine Großdemonstration am 18. Februar, die das sächsische Demokratieverständnis thematisieren sollte. Bis zum 18. Februar konnte niemand mit Sicherheit ausschließen, dass es sich hier um Demobilisierungsversuche seitens der Nazis handelt, die schlussendlich doch kommen würden. Doch wie bereits erwähnt: das taten sie nicht. Zunächst wollen wir aber auf den 13. Februar zurückblicken, an dem wir ebenfalls nach Dresden gefahren sind.



13. Februar - Gegen Opfermythen und Nazis sowieso!

Nach Bekanntwerden der Gerüchte, es würde keinen Naziaufmarsch am darauf folgenden Wochenende geben, entschlossen wir uns, auch zum 13.Februar zu mobilisieren. Die bereits Angemeldeten entschieden sich teilweise noch um, andere  wiederum spielten mit dem Gedanken, an beiden Tagen zu fahren.


Zunächst waren wir landesweit die Einzigen, die am 13. fahren würden, bis die Grünen sich kurzerhand ebenfalls dazu entschlossen. Die Mobilisierung lief erstaunlich gut, so dass bereits zwei Wochen vorher der Bus aufgestockt werden musste. Am Ende sprangen aber noch einige Leute ab bzw. kamen am Tag selbst nicht, so dass wir mit einem halbvollen Bus und mit viel Platz losfuhren.


Mit einem Haltestopp in Halle erreichten wir dann pünktlich gegen 11 Uhr unser Ziel am Comeniusplatz. Hier versammelten sich die TeilnehmerInnen des Mahngangs „Täterspuren“, den das „Bündnis Dresden Nazifrei“ bereits im vergangenen Jahr durchführen wollte, was aber nicht gelang. Der Mahngang hatte zum Ziel, zu verdeutlichen, dass es sich bei Dresden, entgegen dem viel zu oft kolportierten Opfermythos, um eine Täterstadt handelt. An neun Stationen gab es Redebeiträge. Diese Stationen waren allesamt Orte von Naziverbrechen. Kurz nach der 8. Station, dem Polizeirevier, welches früher die Gestapo beherbergte, spaltete sich dann der aus ca. 3000 Menschen bestehende Demonstrationszug. Ein bis zwei „Finger“, darunter auch unserer, bogen in die Prager Straße ein. Es wurde hektisch. Das Tempo steigerte sich, die BlockadeaktivistInnen liefen. Die Polizei jedoch hielt sich zurück und unternahm keinen Versuch, die 1000-1200 Menschen aufzuhalten. So  konnten wir unwirklich ungehindert und entspannt den ersten Blockadepunkt am World Trade Center, Freiberger Straße/Ecke Ammonstraße erreichen. Diese Kreuzung lag direkt auf der Route. Allen war bewusst: würden wir diesen Punkt halten können, wäre der Fackelmarsch der Nazis schon mal um mehr als die Hälfte der Wegstrecke eingekürzt. 

Wenig später wurde dann verkündet, dass Sabine Leidig, MdB für DIE LINKE, eine Kundgebung bis 21 Uhr angemeldet hätte. Jubel brandete auf. Weitere Gruppen und Züge von Menschen stießen zum Platz vor, die Menge wurde immer größer. Irgendwann meldeten die SprecherInnen ca. 3000 Personen auf der Kreuzung. Es wurden Lautwagen heran gefahren, aus denen schnelle Drum&Bass- und Elektro-Rhythmen erklangen. Es gab Tee, Suppe und immer wieder wichtige Infos über die derzeitige Lage in der Stadt. Während sich die Polizei erstaunlich deeskalativ zurück hielt und keinerlei Anzeichen erkennen ließ, die Blockade zu räumen, spalteten sich bis zu 500 Menschen ab, um eine Blockade auf dem Sternplatz zu errichten, da die Naziroute mittlerweile dorthin umgeleitet wurde.

In der Zwischenzeit versammelten sich 13.000 DresdnerInnen zur Menschenkette. Diese endete nach etwa acht Minuten. Über 3000 Menschen machten sich von dort auf den Weg zum Sternplatz und unterstützten die dortige Blockade! Hier war auch erstmalig Protest in Sicht- und Hörweite möglich. Auch an diesem Punkt wurde eine Kundgebung angemeldet. Alles blieb friedlich. An zwei weiteren Punkten gab es weitere erfolgreiche Blockaden.

Gegen 19 Uhr wurde es dann doch noch einmal hitzig, als sich mehrere Menschen von der Blockade in der Freiberger Straße lösten, um in die Region südlich der Bahngleise zu gelangen. Den Nazis sollte ein weiterer Zugang versperrt werden. Der Durchbruchversuch gelang. PolizistInnen traten nach, in Rücken und Kniekehlen, setzten massiv Pfefferspray ein. Auch einige von uns hatte es erwischt. Sie wurden aber sofortig und adäquat von den Demosanis behandelt.

Inzwischen war ein noch größerer Lautwagen aufgefahren, auf dem tatsächlich eine Live-Band spielte. Ein Ensemble mit vielen klassischen Instrumenten, Trompete, Kontrabass, Geige und mehr, brachte die Menge zum Toben. Balkan- und Ska-ähnliche Rhythmen ließen selbst PolizistInnenbeine im Takt mitschwingen. Irgendwann gab es dann die Durchsage, dass die Nazis bereits auf dem Rückweg zum Hauptbahnhof seien. Wie später zu lesen war, konnten sie lächerliche 1000 Meter und effektiv 30 Minuten laufen. Ihre angemeldete Route wurde auf weniger als ein Fünftel begrenzt. Es ist selten, dass am 13. Februar so dermaßen effektiv blockiert werden konnte. Die Mobilisierung von außerhalb war stärker, als jemals zuvor. Insgesamt befanden sich zwischen 6000-8000 BlockadeaktivistInnen in der Stadt. Die Kombination aus Mahngang „Täterspuren“ mit einer sehr denkwürdigen, beeindruckenden inhaltlichen Komponente und der Blockadesituation in der Stadt war äußerst gut gelungen. Zwar konnten die 1600-2000 Nazis laufen, Spaß gemacht oder aus ihrer Sicht „würdig“ war das allerdings nicht, wie noch am Abend in einschlägigen Naziforen wie Thiazi zu lesen war:

„Wir haben das letzte große Ereignis verloren, für mich zerschlägt sich gerade eine der letzten Perspektiven. Wie soll es weitergehen? Der Ausblick nur noch Sauf- und Szeneveranstaltungen eines abgeschotteten kleinen Subkultur zu haben, ist zum Kotzen.“

Nächstes Jahr machen wir den 13. Februar dann unmissverständlich zunichte: gegen Geschichtsrevisionismus, Opfermythen und faschistische Kackscheiße - nie wieder Deutschland!



18. Februar – Gegen Nazis, für einen antifaschistischen Konsens


Selten hat es in diesem Land eine größere antifaschistische Demonstration gegeben, als diese. 10.000 Menschen versammelten sich gegen 12 Uhr am Dresdner Hauptbahnhof, um gegen die sogenannten „Sächsischen Verhältnisse“ auf die Straße zu gehen. In den vergangenen Jahren gab es immer wieder Kriminalisierungs- und Delegitimierungsversuche seitens der sächsischen Behörden. Verfahren gegen friedliche BlockiererInnen, Strafverfolgung gegen AntifaschistInnen, teilweise nach Anzeigen von NPD und Nazis (!), Aufhebungen der Immunitäten von LINKE-PolitikerInnen wie André Hahn, Willy van Ooyen, Janine Wissler und zuletzt Caren Lay und Michael Leutert und eine Funkzellenabfrage, die unter dem Namen „Dresdner Handygate“ in die Geschichte eingegangen ist, sind die unmittelbaren Gründe für diese Demonstration. Natürlich war sie auch gedacht als taktisches Mittel, sollten sich wider Erwarten doch Nazis in der Stadt treffen.

Im Vorfeld zeichnete sich aber schon ab, dass sie an diesem Tag nicht kommen werden. Innerlich zerstritten trauten sie ihren eigenen Leuten, wie der JLO (Junge Landsmannschaft Ostpreußen), die die Aufmärsche in den letzten Jahren organisiert hatte, nicht über den Weg. Gerade die Blockaden im Jahr 2011, an denen auch wir beteiligt waren, versetzten der Szene einen harten Schlag. Lediglich 50 Faschos schafften es damals zu einem der Kundgebungsorte. Alle anderen standen blockierterweise in der Kälte und schoben Frust. Teilweise wurden sie direkt am Hauptbahnhof blockiert, stiegen aus, standen rum und fuhren wieder ab. Diese Demütigung setzte ein nicht geringes Frustpotential frei. So marodierten bis zu 150 Nazis in anderen Stadtteilen, griffen das alternative Wohnprojekt „Praxis“ an, völlig ungehindert, unbegleitet und gesehen (!) von der Polizei, während andere nach der Rückfahrt noch in Leipzig, Halle und Magdeburg randalieren wollten.

Der Demonstrationszug am vergangenen Samstag maß abschnittsweise bis zu fünf Kilometer. Mehr als 30 Lautwagen brachten die Leute zum Tanzen. Wie schon am Montag, feierten die Menschen sich und ihren Erfolg. Partystimmung allenthalben. Nach 10 Kilometern endete die Demonstration dann am „Haus der Begegnung“, welches am Abend des 19. Februar 2011 von einem Team des SEK gestürmt worden ist (wir berichteten damals). Nachdem Bodo Ramelow seine Rede beendete, wurde es dann doch noch einmal hitzig. Ein Greifertrupp der Polizei befand sich idiotischerweise direkt in Mitten des Pulks, welcher dies natürlich als Provokation oder Bedrohung empfand. Niemand konnte einen Grund erkennen oder die Lage durchschauen. Es erschallten „Haut ab, haut ab“ Rufe, wenig später flogen Flaschen. Später hieß es, die Cops hätten einen Nazi aus der Menge fischen wollen, doch selbst wenn das der Fall gewesen wäre, ist dieses Manöver absolut überflüssig gewesen und lässt vermuten, dass es sich dabei um einen Provokationsversuch gehandelt haben muss, denn die Bilder des Tages waren ja viel zu friedlich.

Pünktlich um 19 Uhr fuhr dann der letzte Sachsen-Anhalter Bus im Nord-Konvoi, der aus ca. 30 Bussen bestand, gen Magdeburg. Die anderen vier Busse aus Magdeburg und Halle hatten sich schon früher in Richtung Heimat begeben.

Was bleibt festzuhalten?
Die Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt ist der größte Mobilisierungsfaktor in Sachsen-Anhalt. Mit insgesamt drei Bussen und über 130 MitfahrerInnen, darunter zahlreiche Mitglieder unseres Jugendverbands, können wir einen guten Erfolg für uns verbuchen. Natürlich war die gesamte Koordinierung etwas schwieriger, als in den letzten Jahren, hatten doch Magdeburg und Halle eigene Vorbereitungskreise gegründet, ganz zu schweigen von den Belastungen, die hinzu kamen durch die zusätzliche Fahrt am 13. Februar. Mit viel Unterstützung seitens der Landespartei konnten wir einen reibungslosen Ablauf an beiden Tagen gewährleisten. 

Dresden hat gezeigt, dass Blockaden richtig und wichtig sind, dass Antifaschismus sehr wohl die Lösung ist, entgegen der Aussage von Sachsens Innenminister Ulbig. Nun ist allerdings zu befürchten, dass Magdeburg zum wichtigsten Aufmarschgebiet der Nazis wird. Hier konnten sie in den vergangenen 13 Jahren ungehindert marschieren. 2012 gab es zwar drei vereinzelte Blockaden, die allesamt aber nicht bewirken konnte, den Naziaufmarsch effektiv aufzuhalten, dazu waren es einfach zu wenig Menschen. Die AkteurInnen in Magdeburg müssen sich der Gefahr bewusst sein und bewusst werden. Auch Dresden hatte damals viele Gruppierungen, die ihr eigenes Süppchen kochten – bis es dann auf einmal bis zu 8000 Nazis waren; eine Erfahrung, die gespenstisch und unheimlich war. Spektren- und parteienübergreifend gab es ab 2010 den Konsens, den Aufmarsch blockieren zu wollen, sich das verfassungsgemäße Recht zu nehmen, Gegenprotest auszudrücken. Nun hat auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass es sich bei Blockaden um Akte der Meinungsäußerung, um Kundgebungen handelt.

Wenn Magdeburg verhindern will, dass es zu Dresdner Ausmaßen kommt, muss bereits 2013 im Keim erstickt werden, was zu wachsen droht. Die Stadt muss ihr Verhältnis zum „Trauermarsch“ klären. Die OrganisatorInnen der „Meile der Demokratie“ müssen ggf. über neue Konzepte nachdenken und sich für andere AkteurInnen und Aktionsformen öffnen. Die verschiedenen Antifabündnisse und linken Gruppen müssen ihre internen Hürden hinter sich lassen, zu Gunsten eines antifaschistischen Konsens! Eine Konferenz, ein Gesamtbündnis nach Dresdner Vorbild, ist unausweichlich und die einzige Möglichkeit, organisatorisch der Lage Herr zu werden. Linksjugend ['solid] und Die Linke.SDS werden in den nächsten Monaten alle Anstrengungen unternehmen, diesen Bündnisprozess einzuleiten, zu gestalten und mit zu tragen. Schon 2013 soll es auch in Magdeburg heißen: Magdeburg Nazifrei – Blockieren, bis der Naziaufmarsch Geschichte ist! Doch zunächst geht der Blick nach Dessau, einer Stadt, die in den letzten Wochen und Monaten immer wieder aufgrund rassistischer Momente im Fokus stand. Hier heißt es am 25. Februar „Den rassistischen Konsens brechen – Dessauer Verhältnisse angreifen“, während der 10. März, auch an diesem Tag gibt es wieder einen „Trauermarsch“ der FaschistInnen, bereits seit Wochen rot angekreuzt im Kalender steht.

„An allem Unfug, der passiert, sind nicht etwa nur die schuld, die ihn tun, sondern auch die, die ihn nicht verhindern.“ (Erich Kästner)

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