Montag, 28. Oktober 2013

"Europas Asylpolitik": Leserbrief an den Chefredakteur der Volksstimme

Quelle
Alois Kösters, seines Zeichens Chefredakteur des Lokalblattes "Volksstimme", versuchte sich am vergangenen Samstag, den 26.10.2013, an einem Kommentar zum Komplex der europäischen Flüchtlingspolitik. Leider ist dieser Kommentar nicht nur nicht klug geraten, sondern sogar sehr dumm, was ich in den folgenden Zeilen gerne begründen möchte.

Alois Kösters schreibt: "EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) fordert mehr Einwanderung und höhere Flüchtlingskontingente. Das löst nicht das Problem. So wünschenswert eine vernünftige Einwanderungspolitik für Deutschland wäre, sie dämmt illegale Grenzübertritte nicht ein. Nur wenige Afrikaner würden scharfen Einwanderungskriterien entsprechen. Ja, Europa kann auch mehr Flüchtlinge aufnehmen, aber das dämmt den Flüchtlingsstrom nicht ein."

Beim Lesen dieses Absatzes drängt sich unweigerlich die Frage auf, was uns der Autor damit eigentlich sagen will. Einerseits plädiert er für eine "vernünftige Einwanderungspolitik", wobei er völlig offen lässt, was er darunter versteht, andererseits schiebt er nach, welche Menschen vernünftigerweise nicht unter diese "scharfen Einwanderungskriterien" fallen: Afrikaner. Auch das lässt er einfach unbegründet im Raum stehen. Er trennt damit in gute und in schlechte Einwanderung, indem er "den meisten Afrikanern" die Authentizität ihrer Fluchtgründe abspricht. Man fragt sich, was Kösters als Kernproblem ausgemacht haben will: illegale Grenzübertritte? Afrikaner? Flüchtlingsströme generell?

Es ist also völlig unklar, worum es Alois Kösters im Kern geht, weil er unterschiedliche Teilfragen ohne Not vermengt - oder einfach nicht die richtigen Worte findet, was nicht unbedingt für seine Qualifikation als Chefredakteur sprechen würde. Europa könne seiner Meinung nach zwar mehr Menschen aufnehmen, was aber nicht die Flüchtlingsströme beende, die er zum eigentlichen Problem erklärt. Sie sind aber nicht Problem, sondern Folge eines oder mehrerer vorgelagerter Probleme. Diese"Ja, aber"-Rhetorik erinnert implizit an die aus den 1990ern bekannte Parole "Das Boot ist voll", nach der Einwanderung an sich okay sei, aber eben nur in Maßen. Die einzigen vollen Boote sind aber jene, die seit mehr als 20 Jahren im Mittelmeer an Europas Mauern zerschellen und Tausende mit in die Tiefe reißen. Zu Gute halten kann man Kösters, dass er durchaus bereit dazu ist, "ein paar mehr Menschen die Chance [zu] geben, in Europa zu bleiben und die Südländer [zu] entlasten". Allerdings wird dieses "großzügige" Angebot gleich wieder negiert.

Bei folgender Aussage stellen sich dann auch noch die letzten Nackenhaare auf: "Im Gegenteil: Jede erfolgreiche Flucht sendet ein Signal an die im Elend, die noch 3000 Dollar aufbringen können für eine Überfahrt." Im Umkehrschluss ist das die Forderung nach einer noch härteren Abwehr von Flüchtlingen, nach noch härteren Asylverfahren, nach einem noch schärfer geführten Krieg Europas gegen die Flüchtlinge, denn dieser Satz enthält die Idee, jegliches "Signal an die im Elend" zu verunmöglichen, damit die sich bloß nicht erst aufmachen. Das ist nicht nur in höchstem Maße zynisch, sondern auch unerträglich unwissend. Menschen, die nichts mehr als ihr Leben zu verlieren haben, fliehen, ob sie nun ein Signal aus Europa hören oder nicht. Die Flucht ist dabei nämlich kein gewollter Akt, sondern Notwendigkeit. Sie ist die einzig lebensrettende Maßnahme. Dem Autor scheint nicht bewusst zu sein, dass die EU keine Signale der Hoffnung aussendet, sondern Signale des tausendfachen Todes. Und das seit über 20 Jahren. Trotzdem machen sich Menschen immer wieder auf, diese lebensgefährliche Tour auf sich zu nehmen. Dies verhindert keine hochgerüstete, paramilitärische Grenzschutzagentur, kein noch so hartes Asylverfahren, kein EUROSUR-Überwachungssystem.

Die Ignoranz des Volksstimme-Chefredakteurs wird insbesondere am Ende noch einmal deutlich, wenn er schreibt "Der verzweifelte Kampf an den Festungsmauern Europas ginge aber weiter wie bisher. Seine Ursache liegt nicht in Europa." Er negiert dabei Europas Verantwortung bei den (humanitären) Katastrophen in den zahlreichen Herkunftsländern der Flüchtlinge. Natürlich gibt es einen kausalen Zusammenhang zwischen jahrhundertelangem Kolonialismus und Fluchtursachen. Natürlich gibt es einen Zusammenhang zwischen der Ausbeutung eines ganzen Kontinents und Fluchtnotwendigkeit. Natürlich gibt es eine Kausalkette zwischen deutscher Kriegsbeteiligung in Afghanistan und der Notwendigkeit, aus diesem Land zu fliehen, um seine Haut zu retten. Selbstverständlich bewirkt jede Waffe, die Europa exportiert, Leid und Tod, dem Menschen dann entfliehen müssen. Diese Zusammenhänge zu leugnen zeugt nicht nur von Unwissenheit und Ignoranz, es ist eine bodenlose Frechheit, sich auf dieses eurozentrische Podest zu stellen und den Flüchtlingen in aller Welt zu bedeuten, sie seien ja eigentlich selbst Schuld an ihrer Not.

Mit freundlichen Grüßen,
Robert Fietzke

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