Donnerstag, 9. August 2012

"Noch heute habe ich Gänsehaut, wenn ich daran zurückdenke" (Infoveranstaltung vom 08.08.)

Die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen (1992) markierten die schwersten rassistischen Ausschreitungen seit Ende des II. Weltkrieges. Ein Mob von über 3000 Menschen versammelte sich tagelang vor dem "Sonnenblumenhaus" in der Mecklenburger Allee, welches als Unterkunft für Asylbewerber*innen und Vertragsarbeiter*innen, insbesondere aus Vietnam, diente. Während sich die Polizei, dem Mob gegenüber zahlenmäßig deutlich unterrepräsentiert, zurückhielt und später auch zurückzog, konnten Neonazis und Rassist*innen unbehelligt Molotow-Cocktails werfen, in das Gebäude eindringen und Wohnung für Wohnung abfackeln und zerstören. Die im Gebäude befindlichen Menschen standen Todesängste aus. Einige bereiteten sich schon auf den Sprung vom Dach des Gebäudes vor, sollten sie Angreifer*innen bis zu ihnen vordringen. 

Wie durch ein Wunder kam bei den Pogromen niemand ums Leben, was den damaligen Innenminister Lothar Kupfer (CDU) dazu veranlasste, von einer niedrigen Gefährdungsstufe zu sprechen. Wie staatliche Behörden das Handeln rassistischer Gewalttäter*innen flankierten, zeigt der Film "The Truth lies in Rostock" (1993) in beklemmender Art und Weise.
Am gestrigen Abend sahen ca. 40 Besucher*innen diesen bedrückenden und mit zahlreichen zeitgenössischen Interviewpartner*innen bestückten Dokumentarfilm, der Zeugnis über eine unfassbare Kulmination des Hasses auf alles Fremde, auf "den Buhmann Ausländer", ablegt




Nach dem etwa 80-minütigen Film konnten noch einige Plätze für den (mittlerweile fast vollen) Bus nach Rostock-Lichtenhagen - dort findet am 25.8. eine bundesweite Gedenkdemonstration sowie ein Soli-Konzert statt - reserviert werden, bevor es dann in eine spannende, aufschlussreiche und interessante Gesprächsrunde ging. Zunächst berichtete Torsten Hahnel vom Miteinander e.V., wie er zusammen mit vielen anderen Antifaschist*innen aus dem Raum Halle vom Pogrom erfuhr, woraufhin sie sich zur Unterstützung der Opfer auf den Weg nach Rostock-Lichtenhagen machten. Selbst ohne moderne Kommunikationsmedien wie Internet, Handy und Co. gelang es bereits damals, breite linke und antifaschistische Strukturen zu aktivieren. Hahnel erzählte von einer der größten antirassistischen Demonstrationen der Nachkriegsgeschichte. Am entsprechenden Samstag im Jahr 1992 kamen 20.000 Menschen zusammen, um Flagge gegen Rassismus von Einzelnen, Gruppen und Behörden zu zeigen. Kurioserweise wurde die Demonstration dann von einem Riesenaufgebot an Polizist*innen begleitet (später wurden auch etliche Antifaschist*innen mit Repressionen übersäht, festgenommen, in Gewahrsam gehalten usw.); es stellt sich also die Frage: wo waren die Polizist*innen bei den Ausschreitungen? Hahnel stellte dann konsequenterweise die These in den Raum, die Pogrome seien seitens Politik und Staat gewollt gewesen, um die bereits monatelang schwelende "Ausländerdebatte" in den "Asylkompromiss", also der faktischen Abschaffung des Rechtes auf Asyl (GG. Artikel 16), münden zu lassen.

Frau Ha vom Deutsch-Vietnamesischen Freundschaftsverein Magdeburg e.V. schilderte, wie sich Vietnamesinnen und Vietnamesen aus Magdeburg fühlten, als sie von den Pogromen erfuhren. Schon seit der Wende stieg die Todesangst von Tag zu Tag. Die Ereignisse von Rostock veranlassten dann die vietnamesische Community, einen Verein zu gründen, um Selbstschutz zu organisieren. In dem Wissen, dass der Staat und die Politik nichts tun, nicht helfen würde, organisierten sie sich, um sich auf etwaige Ausschreitungen, die ja dann mit den Himmelfahrtskrawallen '94 folgen sollen, vorzubereiten. Es wurden Bettlaken zusammengebunden, um sich notfalls abseilen zu können, da man sich auf  durch Molotow-Cocktails hervorgerufene Brände vorbereiten musste - ein Leben in ständiger Angst, von Rassist*innen umgebracht zu werden. Besonders eindrucksvoll war dabei Has Schilderung der Wendezeit. Während die DDR-Bürger*innen überwiegend "lieb, nett und zuvorkommend" gewesen seien (dennoch machte Ha eindeutig klar: auch in der DDR gab es Rassismus, allerdings weniger offensiv), bewirkte die Wende einen krassen Sinneswandel. "Von einem Tag auf den anderen" hätten sich die gleichen Menschen "scheinbar verwandelt". Auf einmal wären überall "diese Glatzen" zu sehen gewesen. In dieser Zeit machten sich viele ehemalige Vertragsarbeitnehmer*innen auf den Heimweg nach Vietnam. Frau Ha wurde darum gebeten, in Deutschland zu bleiben, um der Community als ausgebildete Dolmetscherin zu helfen. Sie kam dieser Bitte nach, gründete den Verein und feiert dessen nunmehr 20-jähriges Bestehen im September, zusammen mit vielen, vielen Freundinnen und Freunden. 

Bianka Mopita vom Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt ging anfangs auf ihre Zeit in Kongo-Brazzaville ein. Mit ihrem kongolesischen Mann und ihren Kindern wanderte sie noch zu DDR-Zeiten dorthin aus. Schon in der DDR wurde sie ab und an wegen ihrer dunkelhäutigen Kinder bespuckt und beschimpft. Nach dem Zusammenbruch der meisten sozialistischen Staaten fingen '92 auch die Unruhen in Kongo-Brazzaville an, die sie dazu veranlassten, nach Deutschland zurückzukehren. In ihrer Heimatstadt Oschersleben versuchte die Familie dann, sich ein neues Leben aufzubauen. Doch es hatte sich einiges verändert, wie Mopita bald feststellen musste, als sich ein aggressiver, johlender und Parolen brüllender Mob vor dem hiesigen Flüchlingswohnheim versammelte. Zusammen mit anderen Deutschen fuhr Mopita damals im Akkord zum und vom Wohnheim weg, um Flüchtlinge vor dem angriffsbereiten Lynchmob zu retten. Von der Polizei war damals weit und breit nichts zu sehen. Was Mopita allerdings sah, waren Einwohner*innen, die dem Mob zustimmend klatschten und jubelten, ihrem stumpfsinnigen Ausländerhass freien Lauf ließen. Sie war mit vielen von ihnen aufgewachsen - und erkannte sie nicht wieder. Noch heute bekommt Frau Mopita Gänsehaut, wenn sie daran zurückdenkt. Dieses einschneidende Erlebnis und die Himmelfahrtskrawalle in Magdeburg im Jahr 1994, die sie "live" als Betroffene miterlebte, waren dann auch Grundlage und Anstoß ihres Engagements im Bereich der Flüchtlingspolitik. 

Wir bedanken uns ganz besonders bei der tollen Moderatorin Denise (Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V.) sowie explizit bei den beeindruckenden Zeitzeug*innen, Referent*innen und Engagierten: Frau Ha, Bianka Mopita und Torsten Hahnel! Dank geht dabei natürlich auch an die Kooperationspartner*innen Miteinander e.V., Auslandsgesellschaft Sachsen-Anhalt e.V., Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt e.V., Deutsch-Vietnamesischer Freundschaftsverein Magdeburg e.V. und Bündnis Magdeburg Nazifrei. Wir freuen uns auf die nächste gemeinsame Veranstaltung und hoffen, dass alle Besucher*innen etwas mitnehmen konnten.

P.S.: Wir leihen die DVD gerne für weitere Veranstaltungen aus!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen