Eröffnungsrede
von Robert Fietzke
Hallo.
Mein Name ist Robert Fietzke und ich habe diese Demonstration hier angemeldet. Wie schon am vorvergangenen Wochenende, als über 600 in Menschen in Magdeburg dabei waren, hat sich eine kleine Gruppe zusammen getan, das hier zu organisieren. Wir gehen heute erneut gegen ACTA auf die Straße, zusammen mit tausenden von anderen Menschen in Europa.
Kurz vor dem letzten europaweiten Protesttag gegen dieses Abkommen namens ACTA versuchte die Bundesregierung, den drohenden massiven Protesten den Wind aus den Segeln zu nehmen. Sie erklärten, sie würden ACTA nicht unterzeichnen. Trotzdem waren 100.000 Menschen auf der Straße, in Europa insgesamt 200.000 Menschen.
Zwei Tage später verkündete Regierungssprecher Steffen Seibert dann, das Vertragswerk sei "notwendig und richtig" und bringe "keine der Gefahren mit sich, die derzeit beschworen werden. Wir sehen in diesem ACTA-Übereinkommen einen wichtigen Schritt, um den internationalen Rechtsrahmen für die Bekämpfung von Produkt- und Markenfälschungen zu schaffen."
Währenddessen machte die EU-Kommission von sich reden und unterstellte den Demonstranten undemokratische Motive. Im Wortlaut hieß es: “Aber es werde letzlich schwer fallen, die organisierte Zivilgesellschaft damit [also mit ACTA] zu überzeugen. Dort würden oft Interessen vertreten, die nicht der breiten Gesellschaft entsprächen. Hier seien gezielte Aktivitäten zu beobachten, die nicht immer den vorgeblich demokratischen Absichten gerecht würden”. und weiter „“ACTA-Gegner versuchen, gegen das Abkommen zu mobilisieren, um die restlichen Mitgliedstaaten und das Europäische Parlament zu beeinflussen.”
Gezielte Aktivitäten? Vorgebliche demokratische Absichten? Natürlich sind unsere Absichten demokratisch! Wir machen uns Sorgen um die Demokratie. ACTA ist entstanden in unzähligen Hinterzimmerverhandlungen, vorbei an irgendwelchen demokratisch legitimierten Institutionen oder Verfahren. Das Abkommen ist aus der Feder zahlreicher Multikonzerne und Unternehmen der Medienindustrie, die damit nur ihre eigenen Interessen durchsetzen wollen, ihre Gewinne sichern wollen. Ihnen geht es überhaupt nicht um den kleinen Urheber. Der hat davon nämlich gar nichts!
ACTA werden folgende Dinge vorgeworfen:
1. Konzerne könnten das Internet zensieren, indem sie Provider zur Onlineüberwachung von Datenverkehr verpflichten. ACTA würde somit massiv Meinungsfreiheit und andere Grundrechte angreifen und den freien Zugang zu Informationen verwehren.
2. Es würde harte Strafen geben für sogenannte Urheberrechtsverletzer, die angeblichen geschäftlichen Schaden anrichten. Das kann schon passieren, wenn man ein Partyvideo hoch lädt und im Hintergrund geschützte Musik läuft.
3. Das Abkommen ist völlig undemokratisch ausgehandelt worden und allein aus diesem Grund schon abzulehnen
4. Lebensrettende und billigere Generika, also Plagiate von Medikamenten, würden ebenfalls unter diesen neuen Urheberrechtsschutz fallen und somit vom Markt verschwinden. Dies würde ganz real Menschenleben kosten
5. Ebenso wäre generisches Saatgut verboten, Bauern hätten damit ein massives Problem
6. Der Text im ACTA-Abkommen ist so was von schwammig, dass keinerlei europäische Rechtsstandards eingehalten wären. Der Text lässt außerdem zahlreiche Hintertüren offen – und genau darum geht es uns!
ACTA zu verstehen ist nicht leicht. Hinzu kommt, dass viele Passagen aus einer Zeit stammen, in der es noch gar kein Internet gab. Die Medienindustrie und somit die Rechteverwertungsindustrie sieht sich, seitdem es das Internet gibt, großen finanziellen Einbußen und Nachteilen ausgesetzt. Dass das Internet von vielen einflussreichen Menschen mit Argwohn beäugt wird, erleben wir hier ständig und nicht erst seit ACTA.
Das Internet gehört mittlerweile zur Lebenswelt der meisten Menschen. Niemals war es so einfach, sich breit und intensiv über unsere Welt zu informieren. Niemals war es so einfach, Wissen mit anderen zu teilen, Wissen zur Verfügung zu stellen und Wissen zu beziehen. Dies hat eine Reihe kleinerer Revolutionen auf den Weg gebracht. Manche behaupten, es gäbe die „digitale Revolution“ schon längst. Doch auch bei herkömmlichen Revolutionen ist das Internet zumindest ein entscheidendes Tool, wenn wir zum Beispiel nach Tunesien blicken.
Vielleicht ist es auch genau das, wovor die Regierenden Angst haben? Haben sie Angst vor immer informierteren Menschen, die aufgrund des gesteigerten Wissens immer häufiger auf die Straße gehen, um zu protestieren?
Fakt ist eins: Sie verstehen uns nicht. Sie wissen nicht, wie das alles funktioniert. Sie wissen nicht, warum uns das so viel bedeutet. Sie verkennen die demokratischen Veränderungspotentiale. Manchmal kann man nur das Bild gewinnen, dass wir es hier mit der geballten Inkompetenz zu tun haben.
Wisst ihr, wie über uns geredet wird? Man nennt uns jetzt neuerdings „Netzgemeinde“. Netzgemeinde. Das hat etwas verschworenes, subversives, sektenhaftes. Innenminister Friedrich nahm das letztens in den Mund, als er seinen CDU-Kollegen Heveling in Schutz nehmen wollte. Dieser hatte die ACTA-Gegner als „digitale Maoisten“ bezeichnet und gedroht: „Liebe Netzgemeinde, ihr werdet den Kampf verlieren“. Einen besonderen Geschwurbel-Leckerbissen, bei dem einem schlecht werden kann, möchte ich euch nicht vorenthalten:
„Wenn wir nicht wollen, dass sich nach dem Abzug der digitalen Horden und des Schlachtennebels nur noch die ruinenhaften Stümpfe unserer Gesellschaft in die Sonne recken und wir auf die verbrannte Erde unserer Kultur schauen müssen, dann heißt es, jetzt wachsam zu sein. Also, Bürger, auf zur Wacht! Es lohnt sich, unsere bürgerliche Gesellschaft auch im Netz zu verteidigen!“
Heveling sitzt für die CDU im Bundestag und ist – man möchte es eigentlich gar nicht hören – Mitglied der Enquete-Kommission Internet und digitale Gesellschaft.
Ein noch aktuelleres Beispiel für Unwissenheit und Ignoranz gab es gestern im Landtag. DIE LINKE brachte einen Antrag namens „ACTA stoppen – Transparenz herstellen“ ein. Der Antrag wurde mit den Stimmen der Regierungskoalition abgelehnt.
Ich fasse das mal zusammen: ACTA-Gegner, also wir, haben angeblich keine Ahnung und sind sowieso alles Internetgauner, während uns Leute, die an Inkompetenz nicht zu überbieten sind, weismachen wollen, ACTA sei total ungefährlich. Man spricht uns nicht nur unser Recht auf Protest ab, sondern auch die Fähigkeit, selbständig zu denken und die Dinge einzuschätzen.
Heute nehmen wir aber von unserem Recht auf Protest Gebrauch – und das ist genau richtig so!
Abschlussrede (Infoflyer)
von Deejay Lockie
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