Montag, 17. Oktober 2011

Weltweiter Aktionstag für echte Demokratie am 15. Oktober - ein historischer Tag?

Es ist nicht weit hergeholt, zu behaupten, der 15. Oktober 2011 hätte eine historische Dimension erreicht. Proteste, Demonstrationen und Aktionen in über 1000 Städten in mehr als 80 Ländern sind beispiellos. Millionen von Menschen empörten sich am Samstag, Millionen von Menschen nahmen sich die Straßen und Plätze und zeigten, dass sie eine andere Welt wollen - #globalchange.  
Sie alle eint das überwältigende Gefühl der Ohnmacht gegenüber den Herrschaftsstrukturen auf diesem Planeten. Eine Welt, in der wenige Menschen viel zu viel Macht und Einfluss haben, in der ganze Staaten und Bevölkerungen abhängig sind von Finanzmärkten und den fragwürdigen Entscheidungen von Rating-Agenturen, in der Demokratie nur als Feigenblatt missbraucht wird - diese Welt wollen sie verändern.

Am 15. Mai besetzten mehr als 300.000 Spanier_innen den „puerta del sol“ im Herzen Madrids. Sie ließen sich nicht vertreiben, kampierten wochenlang, entwickelten eine beeindruckende Infrastruktur und erprobten Demokratie von unten. „Democracia real YA“ – Echte Demokratie Jetzt! „Wir sind keine Ware in den Händen von Politikern und Bankern“. Diese „Bewegung der Empörten“ fand Inspiration im Bestseller „Empört euch!“ des französischen Resistance-Kämpfers Stephane Héssel und entfachte eine Welle des Protestes, die nun über den gesamten Globus geschwappt ist. Noch im Mai versammelten sich tausende Franzosen und Französinnen, Tschech_innen, Italiener_innen und Griech_innen auf ihren öffentlichen Plätzen. Die Auslöser dieser teilweise gigantischen Protestaktionen und „acampadas“ sind nur auf den ersten Blick unterschiedlich. Über allem steht die Erkenntnis, dass die Menschen ihr Schicksal endlich in ihre eigene Hände nehmen müssen. Niemand wird ihnen diese Aufgabe abnehmen, schon gar nicht  die Politik, die ihrerseits ebenso ohnmächtig geworden ist gegenüber den von ihr geschaffenen Geistern.
 
Einen enormen Schub erfuhr diese Bewegung, die bereits Ende Mai zu weltweiten Protesten am 15. Oktober aufgerufen hat, woraufhin sich auch in Deutschland dutzende hierarchie- und strukturlose Gruppen gründeten, durch die US-amerikanische Occupy-Bewegung. Seit mehr als drei Wochen dauern die Proteste in den Finanzzentren der USA an. „All day, all week, occupy wallstreet“! Weder durch massive Polizeigewalt noch durch Androhung von „Räumung mit allen verfügbaren Mitteln“ lassen sich diese US-amerikanischen Empörten beeindrucken. Im Gegenteil: es werden immer mehr. Fast stündlich gründen sich neue „meet-ups“ auf occupytogether.org. In inzwischen mehr als 1300 Städten verabreden sich die Bürger_innen, die Bankenviertel des Landes zu besetzen. Sie sind die 99%! Sie sind die 99%, die ausgelacht werden von dem einen Prozent, das 75% des Vermögens besitzt und gnadenlos verzockt, was ihnen nicht gehört. Dieses eine Prozent gefährdet die Existenz aller, ganz unmittelbar. Gewinnen werden privatisiert, Verluste vergesellschaftet. So funktioniert das auf der ganzen Welt. Banken werden mit Steuermilliarden gerettet, weil sie als systemrelevant gelten. Diese Rettungen verkaufen die politischen Akteure als „alternativlos“. Dies wiederum ist Ausdruck der eigenen Handlungsunfähigkeit der Regierungen. Sie wollen den entfesselten Kapitalismus nicht bändigen. Sie profitieren von ihm. Noch.

In Deutschland gingen insgesamt 40.000 Menschen auf die Straße. Mit teilweise monatelanger Vorbereitung riefen verschiedenste Bündnisse zu kreativen Protestaktionen auf. Allen war bewusst, dass sie an diesem Tag nicht allein sind.

In Berlin zogen bis zu 10.000 Menschen zum Kanzler_innenamt bzw. Platz der Republik / Reichstag, den sie seitdem – unterbrochen von einer brutalen Räumung durch die Polizei – besetzt halten. Auch in Düsseldorf, Hamburg und Frankfurt kampieren hunderte von Aktivist_innen nach US-amerikanischem Vorbild. Sie organisieren sich, bilden menschliche Mikrophone, indem die Masse das Gesagte Satz für Satz, für alle verständlich, wiederholt. Sie erhalten Spenden von Sympathisant_innen, entwickeln Konzepte für echte Demokratie, teilen ihre Eindrücke übers Internet mit der Welt, während die Medienlandschaft verhalten ist und gerne mal verklärt, dass es hier um deutlich mehr geht, als gegen Banken zu demonstrieren.

Der weltweite Aktionstag erreichte auch Sachsen-Anhalt. In Halle mobilisierte Attac bis zu 50 Menschen und in Magdeburg versammelten sich bis zu 400 Menschen auf der Ulrichwiese.
Das Bündnis „Echte Demokratie Jetzt! Magdeburg“, mitgegründet von Aktivist_innen der Linksjugend ['solid] und SDS Magdeburg, besteht seit etwa drei Monaten. Seit mehr als vier Monaten bereiteten sie sich auf diesen Tag vor, entwickelten neue Aktionsideen, mobilisierte zunächst über die sozialen Netzwerke und schmiedeten ein breites gesellschaftliches Bündnis, dem sich u.A. ver.di, die Rosa Luxemburg Stiftung, das Aktionsbündnis Sozialproteste oder die Initiative Bedingungsloses Grundeinkommen Magdeburg anschlossen. Insgesamt bereicherten diese Organisationen, Vereine und Verbände den Aktionstag mit elf Info-Ständen.
  Offenes Mikrofon, eine Mauer der Empörung, ein „demokratisches Live-Kunstprojekt“ und zahlreiche andere beteiligungsorientierte Aktionsformen standen den Versammelten zur Verfügung. Die kreativen und konstruktiven Outputs des Aktionstages sollen nun aufgearbeitet werden, um konkrete Forderungen an die Politik zu stellen. Das Bündnis ruft weiterhin zu Aktionen und Versammlungen auf. „Wir sind uns sicher, dass dies nur der Startschuss für eine neue globale Demokratiebewegung ist. Jetzt geht es erst richtig los!“. Des Weiteren erklären sie sich solidarisch mit allen anderen Aktivist_innen und insbesondere den mutigen und entschlossenen Besetzer_innen in den Großstädten dieser Welt. Diese Bewegung ist chancenreich. Sie hat die Möglichkeit, über gemeinsame Merkmale und Emotionen eine globale Identität zu stiften, die die herrschenden Verhältnisse überwindet und echte Demokratie entwickelt. Sie kann Ego- und Ethnozentrismus, Nationalismus und Diktaturen beseitigen, die Welt wirklich verbessern! Sie wird nicht getragen von Parteien, Gewerkschaften oder anderen befangenen Gruppierungen. Sie gehört nur sich selbst. Dies ist ihre Stärke, dieses Moment muss sie verteidigen, dann hat sie eine historische Chance!


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