Sonntag, 2. Juni 2013

Türkische Verhältnisse in Frankfurt - oder wie die Polizei das Grundgesetz mit Füßen tritt

Wie im letzten Jahr auch, riefen Kapitalismuskritiker der Blockupy-Bewegung zu Protesten in der Bankenmetropole Frankfurt a.M. auf. Anlass der Kritik war besonders das Handeln der Troika aus IWF, EZB und EU-Kommission in den südeuropäischen Ländern sowie die Haltung der deutschen Regierung zur Krise. Doch die Szenen, welche sich in Frankfurt abspielten, wirkten eher so, als wäre man dieser Tage in Istanbul: GG-Artikel 8 schien an diesem Tag bedeutungslos zu sein. 




"Kaum hatte wir die ersten einhundert Meter hinter uns, stürmten schwer gepanzerte Polizeieinheiten die Demo und kesselten den sogenannten "Antikapitalistischen Block" ein, um ihn vom Rest der Demo abzuspalten. Vorgeschobener Grund dafür war nach Angaben der Polizei die Vermummung durch "Regenschirme und Sonnenbrillen" sowie passive Bewaffnung, also Schutz, einiger Demonstranten durch über drei Meter lange Transparente." berichtet Anne Geschonneck vom LandessprechInnenrat der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt, die in Frankfurt war: "Man merkte deutlich, dass die Polizei nach den friedlichen Aktionen des Vortages eskalierende Bilder produzieren wollte, dass gelang ihr auch - man sah, wie brutal Polizisten sein können."

Die Eingekesselten wurden stundenlang festgehalten und die Polizei bestand darauf, ihre Personalien aufzunehmen und Platzverweise auszusprechen. Verhandlungen zwischen dem Einsatzleiter der Polizei und dem Anmelder der Demonstration blieben erfolglos. In dieser Zeit griffen die schwarz vermummten und schwer bewaffneten Polizisten immer wieder die Demonstrierenden im Kessel und auch andere Teile der Demonstration mit Schlagstöcken und Pfefferspray an. Im Handgemenge wurden mehrere Personen zum Teil schwer verletzt, unter anderem auch ein Pressefotograf. Die Polizei verwehrte eine schnelle medizinische Versorgung für Verletzte. Zum Teil dauerte es eine Stunde, bis Rettungswagen und Notarzteinsatzfahrzeug zu Verletzten durchgelassen wurden. Dem Rest der Demo machte die Polizei das vergiftete Angebot, auf einer anderen Route weiterzulaufen, wenn sie die Gekesselten ihrem Schicksal - brutale Gewalt durch Polizeihundertschaften, Freiheitsberaubung etc. - überlassen würden. Dies lehnten die restlichen Demonstranten vehement ab und bekundeten so ihre Solidarität.

"Während der große Teile der Demonstration von der Polizei unter Zuhilfenahme von Pfefferspray und Schlagstöcken von den Gekesselten abgedrängt wurden, bekamen diese auch solidarische Gesten aus dem Frankfurter Schauspielhaus. Aus Fenstern wurden Wasserflaschen und Essen in den Kessel runtergelassen, damit nicht noch mehr Menschen kollabierten." weiß Dirk Gernhardt vom LandessprecherInnenrat der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt, der vor Ort war, zu berichten. Nachdem sich die widerrechtlich von der Polizei Isolierten - das Verwaltungsgericht hatte die Demoroute genehmigt, die Polizei handelte also gegen Gerichtsentscheide - weigerten, sich einzeln identifizieren zu lassen, begann die Polizei gewaltsam über ca. neun Stunden den Kessel aufzulösen. Abgeordnete der Partei DIE LINKE, die sich schützend vor friedliche Demonstrierende stellten, wurden abgeführt, darunter auch führende Politiker*innen wie zum Beispiel Katja Kipping, die Parteivorsitzende der LINKEn, und MdB Niema Movassat, der besonders Groteskes zu berichten wusste: "Abgeordnetenrechte interessierten die Polizei (natürlich) auch nicht. Wieso auch -- offenbar herrschte rechtsfreier Raum in Frankfurt. So wurde mir zweimal durch zwei verschiedene Polizisten erklärt, dass mein Abgeordnetenausweis eine Fälschung und ich kein Abgeordneter sei. Auch der Hinweis auf die Unterschrift des Bundestagspräsidenten unter dem Ausweis brachte nicht zu recht weiter. Ich muss zugeben -- so was habe ich das erste mal erlebt!" (1)

Selbst der Frankfurter SPD-Chef Mike Josef war empört über das Vorgehen der Polizei. Es besteht der konkrete Verdacht, dass die Polizei die Demo mit Absicht eskalieren ließ und den Kessel von Anfang an geplant hatte. Dies wird immer wieder berichtet und lässt sich auch aus den Erfahrungen aus der Demonstration heraus bestätigen: schon zwei Stunden vor Beginn der Demonstration konzentrierten sich Polizeieinheiten an der späteren Kesselstelle und auch Dixiklos waren schon fünf Minuten nach Bildung des Kessels vor Ort.

Josephine Jahn vom LandessprecherInnenrat der Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt, eine weitere Beobachterin der Geschehnisse, erklärt: "Solch ein gewaltsames Vorgehen von Polizist*innen habe ich lange nicht mehr gesehen. Völlig willkürlich wurden Demonstrierende mit Pfefferspray angegriffen und auf sie eingeschlagen. Man merkte, dass die Polizei eskalieren wollte und alles daran gesetzt hat, die gewünschten Bilder zu produzieren. Dass die Demonstrierenden trotzdem friedlich blieben, hat dieses Ziel zunichte gemacht. Sogar bürgerliche Zeitungen wie die FAZ kommen nicht umhin, vom brutalen Verhalten der Polizei zu berichten. Nur bei der ARD scheint dann doch Fußball wichtiger zu sein als das Grundgesetz." Dirk Gernhardt, fügt hinzu: "Die politischen Verantwortlichen müssen dafür zur Rechenschaft gezogen werden, sonst leben wir bald in einem Polizeistaat, in dem rechtskräftige Urteile von Polizeieinsatzleitern und Innenministern ad absurdum geführt werden, aber das würde der CDU in Hessen ja vielleicht gefallen: wer braucht schon Demokratie, wenn er Prügelpolizisten hat? Die Ankündigung auf ein parlamentarisches Nachspiel im Bundestag durch Katja Kipping, ist hier sehr zu begrüßen. Dass Herr Westerwelle dann gleichzeitig die Polizei zu Besonnenheit und Deeskalation aufruft, ist natürlich sehr löblich. Schade nur, dass er damit nicht Frankfurt, sondern die Situation in der Türkei meinte."

Was vom Tag bleibt ist ein erschütterndes Bild davon, wie die Bundesrepublik Deutschland mit Kritikern umgeht, die ihre verfassungsmäßigen Rechte einfordern und an den Grundfesten des Kapitalismus rütteln. Es drängt sich unweigerlich die Frage auf, wen die Polizei schützen soll: Die Menschen, das Grundgesetz, die Demonstrationsfreiheit, oder doch die Banken, die ungezügelte Finanzwirtschaft, die Interessen der Herrschenden? Deprimiert resümierte der Anmelder Werner Rätz: "Frankfurt ist für die Demokratie anscheinend ein schlechter Ort."


(1) www.movassat.de/1335

Quelle: http://www.linksjugend-lsa.de/news_presse/presseerklaerungen/detail/zurueck/presseerklaerungen-16/artikel/tuerkische-verhaeltnisse-in-frankfurt-oder-wie-die-polizei-das-grundgesetz-mit-fuessen-tritt/Landesverband

1 Kommentar:

  1. ... kann ich alles nur bestätigen. Siehe auch meinen Blog:
    http://kopfmahlen.blogspot.de/2013/06/occupy-blockupy-blockupy2013.html
    MfG
    BTB

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