(fl) Schuldenkrise, Über-die-Verhältnisse-leben, Sparverweigerung, chaotische Wahlen, Extremisten ergreifen die Macht - Das ist in etwa das Bild von Griechenland, das derzeit von den hiesigen Medien gezeichnet wird. Unter diesen Vorzeichen haben wir am 9. Mai zu der Veranstaltung "Was macht eigentlich... Griechenland? Südeuropa am Abgrund" geladen.
Wir hören zwar eine Menge aus Griechenland, meist davon, dass die "faulen" "Pleite-Griechen" wieder einmal Geld für verstorbene Rentner aus den Sparpaketen vergeben haben, dass gefälligst die griechischen Inseln liquidiert werden sollen und dass die nicht mit Geld umgehen könnenden Griechen endlich, endlich, ENDLICH ihre Akropolis für Filmaufnahmen freigegeben haben. Als ob die mangelnde griechische Disziplin nicht schon genug wäre, müssen wir erfahren, dass bei den jüngsten Wahlen Extremisten, links wie rechts, gewonnen haben und Europa somit wieder einmal endgültig und unabwendbar am Abgrund steht, während Griechenland "Chaos-Sirtaki" tanzt. Wir wissen also scheinbar bestens Bescheid.
Allerdings auch nur scheinbar und so haben wir uns gefragt, wie die direkten Auswirkungen der Vorgänge in Griechenland bewertet und aufgefasst werden. Was wissen wir eigentlich über die Vorgänge direkt in Griechenland? Wie ändert sich das Leben der Griechinnen und Griechen? Welche Auswirkung hat das Spardiktat der Troika, bestehend aus Europäischer Kommission, Europäischer Zentralbank und dem Internationaler Währungsfonds, auf gewöhnliche Menschen wie dich und mich?
Dazu haben wir Kostis Bennig, seines Zeichens griechischer Student an der TU Athen und Aktivist bei SYRIZA, zu einer Podiumsdiskussion am 9. Mai eingeladen. Gemeinsam mit Anne vom Bundesvorstand von SDS.Die Linke ging Kostis auf die derzeitige Situation auf der hellenischen Republik ein und gab einen Überblick über aktuelle Entwicklungen, insbesondere vor dem Hintergrund der jünsten Wahlen.
Das Linksbündis SYRIZA ist der eindeutige Gewinner der letzten Wahl und konnte Wählerstimmen aktiveren, die die Aktivist_innen selber nicht für möglich gehalten haben. Obwohl das Bündnis in der politischen Landschaft Griechenlands noch nicht sehr vertreten ist, also noch nicht viele Bürgermeister_innen, Landesvertreter_innen oder der gleichen von SYRIZA gestellt werden, wurden in der letzten Wahl insbesondere in den großen Städten (bspw. Rethymno oder Irakleio auf Kreta) atemberaubende Wahlergebnisse erzielt. So gut wie jede größere Stadt wählte die Linken auf den ersten oder zweiten Platz.
Wie enorm diese Ergebnisse sind, lässt sich einschätzen, wenn man sich vor Augen hält, dass die Griechinnen und Griechen linke Parteien in den vergangenen Jahren eher mit dem Ziel einer starken parlamentarischen Opposition wählten. Der Wahlsieg SYRIZAs bedeutet nun eine Neuorientierung des politischen Geistes und Ausrichtung auf eine Regierungsbeteiligung, wie Kostis aus Gesprächen mit den Menschen vor Ort berichtete.
Der Gesellschaft bereitet laut Kostis Sorge, dass mit dem Einzug der Partei Chrysi Avgi auch ein Wiedererstarken des nationalistischen und faschistischen Gedankens in Griechenlads Politik Einzug hält. Der Erfolg der Faschisten ist dabei nicht zuletzt auch durch geschürte antigriechische und antieuropäische Ressentiments zu erklären, die sich beispielsweise sichtbar in Karikaturen gezeigt haben. Auch die alarmierend hohe Arbeitslosigkeit, die sich seit Beginn der Sparmaßnahmen verdreifacht hat und unter Jugendlichen bei derzeit 53,8% steht, ist Wasser auf die Mühlen der Nazis.
Zur Situation in Deutschland berichtete Anne, dass durch die Agendapolitik Deutschland bereits frühzeitig "seine Hausaufgaben" gemacht und somit Stück für Stück die Sparmaßnahmen eingeführt hat, an deren Adhoc-Einführung Griechenland derzeit zu ersticken droht. Die Reformen wie Liberalisierung des Arbeitsmarkts und Ausbau von Zeitarbeit nutzen aber nicht etwa den Einwohnerinnen und Einwohnern Deutschlands, wie man gemeinhin lesen kann, sondern einzig und allein der deutschen Exportindustrie, während weite Teile der Gesellschaft unter Niedriglöhnen, prekären Beschäftigungsverhältnissen oder Arbeitslosigkeit leiden. Obwohl es auch hierzulande eine Occupy-Bewegung gibt und auch hier Student_innen für eine bessere Bildung auf die Straßen gehen, sind die Protestbewegungen doch nur begrenzt miteinander zu vergleichen, da die Umbrüche in Griechenland weitaus radikaler, größer, breiter und allumfassender sind. Dennoch können auch wir Lehren aus dem Ausverkauf Griechenlands ziehen, uns organisieren und solidarisch mit unseren Freundinnen und Freunden in Südeuropa zeigen, die von der Troika gemolken werden.
Wir unterstützen den Aufruf zu "Blockupy Frankfurt" vom 16. bis 19. Mai auch trotz der einstweiligen Verfügung, die die vom demokratischen Grundrecht auf Demonstrationen gedeckte Veranstaltung untersagt. Der Sparimperialismus unter der Ägide der Troika gehört an den Pranger und nur durch Solidarität auf der Straße können auch wir hier eine Linderung der Diktate für die Gesellschaften in Griechenland, Spanien oder Portugal erreichen. Mitte dieser Woche gilt es vor dem Antlitz des deutschen Finanzzentrums gegen die rigide und unökonomische Austeritätspolitik demonstrieren.
Griechenland befindet sich im Umbruch. Es stehen uns spannende Zeiten bevor, in denen sich zeigen wird, ob Griechenland auch mit einer Regierung um das Linksbündnis SYRIZA in der Europäischen Union Bestand hat. SYRIZA lehnt die bereits ausgehandelten Sparverträge mit der Troika als untragbar ab und fordert beispielsweise eine Anhebung der Besteuerung auf hohe Vermögen von derzeit 25% auf 45%, ein gerechtes Verhältniswahlrecht und eine Überprüfung der angehäuften Schulden. 78% der Griech_innen möchten den Euro behalten. Ob die Europäische Union die Griech_innen angesichts des anti-neoliberalen Kurses herauswirft oder nicht, wird zeigen, wie es um die Akzeptanz eines demokratisch legitimierten Politikstils innerhalb Europas bestellt ist. Nicht mehr und nicht weniger.
Vielen Dank für den Bericht, war eine tolle Veranstaltung!
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