Im
Magdeburger City Carré, bekannt als Konsumtempel im Schatten des
deutlich beliebteren Allee Centers, ist derzeit eine Ausstellung zu
sehen. Das allein ist jedoch von geringem Nachrichtenwert, denn
Ausstellungen gibt es dort andauernd, zum Teil auch gar keine
schlechten. Zuletzt gastierte dort beispielsweise die Wanderausstellung
"Die Opfer des NSU und die Aufarbeitung der Verbrechen", die die
Auslandsgesellschaft, der Miteinander e.V. und die Landtagsfraktion der
LINKEn nach Magdeburg holte. Was dort jetzt zu sehen ist, verschlägt uns
allerdings die Sprache, da wir davon ausgegangen sind, dass ein
gewisses Thema eigentlich nicht mehr diskutiert werden müsse. Ein
Irrtum. Unsere Naivität endete mit einem gestrigen Besuch, der dazu
gedacht war, uns selbst ein Bild dessen zu machen, was die
Stadtschreiberin Anja Tuckermann hier mal aufgeschrieben hat:
Verfälschung der Geschichte.
Worum geht's? Die Ausstellung ist stadtgeschichtlicher Natur und nennt sich "Illustrierte Geschichte – Gezeichnete Episoden aus 1200 Jahren Magdeburger Stadtgeschichte". Auf Schautafeln wird die über 1200-jährige Geschichte der Elbstadt heruntergebrochen, wobei das Wort "brechen" bei näherem Betrachten eine ganz andere Bedeutung erfährt, denn eine gewisse Zeit - ihr ahnt es schon - fehlt komplett: die Ära des Nationalsozialismus. Als hätte es ihn nie gegeben. Als hätte er einen Bogen um Magdeburg gemacht. Und auch der 1. Weltkrieg findet keinerlei Erwähnung. Dafür widmen die Ausstellungsmacher*innen dem FCM eine komplette Schautafel. Klar, da müssen schließlich Prioritäten gesetzt werden!
Der
Autor [1] , auf dessen Buch diese Ausstellung fußt, redet sich
derweil heraus, indem er sagt, er hätte keinen Einfluss auf die Auswahl
der Schautafeln gehabt. Natürlich hätte er der NS-Zeit ausreichend Raum
gegeben [2].
In seinem Buch. Was er dort schreibt, passt ideologisch allerdings
recht gut zum "Konzept" der Ausstellung, dem Konzept des Weglassens,
Verwischens und Verschweigens, um die "Große Geschichte Magdeburgs"
nicht zu besudeln. Image und so. Wir sind ja alle Otto! Anja Tuckermann
hat in ihrem Beitrag ein Best-Of des gefährlichen Schwachsinns zum
Besten gegeben, den wir hier nochmal rezitieren möchten.
1. Die Kriegsschuldfrage löst er, sagen wir mal, "kreativ", wie man es sonst nur von der Dauervertriebenen Erika Steinbach [3] kennt: „So führten viele Länder erbitterten Krieg gegen Deutschland, bis sich dieser Krieg immer mehr gegen Deutschland selbst kehrte.“.
Ja, diese bösen Alliierten, was kämpfen die auch so "erbittert" gegen
das arme, kleine Deutschland - und dann auch noch von zwei Fronten!
2.
Der Autor dürfte weit und breit der einzige (selbst ernannte)
"Historiker" sein, der noch bedenkenlos den Begriff
"Reichskristallnacht" benutzt. Bei diesem Wort handelt es sich um einen
die Opfer des 09. November 1938 verhöhnenden Euphemismus der
nationalsozialistischen Propagandamaschinerie. Korrekt ist
"Reichspogromnacht". Und das hat jetzt nichts mit "Sprachpolizei" zu
tun, sondernWer sich unkritisch nazistischer Sprache bedient braucht sich nicht zu wundern, irgendwann einmal mit solchen Texten wie dbedacht zu werden.
3. Zum Kriegsende findet er dann nochmal besonders eklige Worte: „am
8. Mai 1945 endete dieser längst verlorene Krieg mit der
bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Es war auch die Befreiung der
Deutschen vom Nazi-Terror.“. Da ist sie
wieder, die olle These vom "Volksverführer Hitler", dem ja eigentlich
niemand so recht hinterherlaufen wollte. Eigentlich waren die Deutschen
ja alle Opfer. Täter waren immer die anderen. Und die 6 Millionen
Jüdinnen und Juden hat auch niemand umgebracht. Niemand wusste von den
Gaskammern und Verbrennungsöfen. Und der Zusammenhalt war doch so gut
damals, in der heimeligen "Volksgemeinschaft"!
Es ist zum Kotzen.
Besonders grauenhaft ist dann folgerichtig die erste Schautafel nach dieser "Nicht-Zeit". Auf ihr prangt das Jahr 1946. Titel: "Auf
Trümmerbergen. Nach dem Ende des 2. Weltkriegs im Mai 1945 standen von
Magdeburgs Altstadt nur noch Ruinen. Für den Wiederaufbau mussten
endlose Berge Trümmerschutt beseitigt werden."
Beim Lesen des weiteren Textes kommen uns die Tränen. Nicht. Wir wollen
dieses geschichtsrevisionistische Zeugnis hier mal unzensiert
dokumentieren:
"Die
einst wunderschöne Altstadt mit ihren Prachtboulevards und den
verwinkelten, engen Gassen, ist bis auf wenige Gebäude, darunter die
Klosterkirche Unser Lieben Frauen und der Dom, unter Trümmerbergen
versunken. Weil es auch an den Stadtränden nur wenige intakte Gebäude
gibt, sind gut 220.000 der einst hier lebenden 350.000 Menschen
obdachlos. Manch ein Überlebender (sic!) konnte sich damals nicht
vorstellen, dass in dieser unter der Besatzungsmacht der Allierten
stehenden Trümmerwüste je wieder gelebt werden kann. Entgegen aller
Hoffnungslosigkeit begannen aber schon im Sommer 1945 die ersten
Aufräumarbeiten." Dann folgt noch das übliche Loblied auf die "Trümmerfrauen".
Geschichtsrevisionismus
ist der Versuch, ein anerkanntes Geschichtsbild zu revidieren. Die
Neonazis rund um den Magdeburger Andy Knape, der jetzt übrigens keinen
Job mehr hat, weil die sächsische NPD-Fraktion glücklicherweise aus dem
Dresdner Landtag geflogen ist, betreiben diesen Revisionsversuch, indem
sie Magdeburg jeden Januar heimsuchen, um "der Opfer des
Bomben-Holocaust zu gedenken". Damit meinen sie die Luftangriffe der
Alliierten auf Magdeburg am 16. Januar 1945, die sich nächstes Jahr
übrigens zum 70. Mal jähren (auch ein Grund, eine solche Ausstellung
einfach mal sein zu lassen). Sie zumindest dürften sich freuen über
diese unerwartete Schützenhilfe. Was der Autor hier vornimmt, ist die
klassische Täter-Opfer-Umkehr, den Deutschen die Schuld abzusprechen,
Hitler und seinen NS-Staat, willig und zum Töten bereit, überhaupt erst
ermöglicht zu haben. Die Tausenden KZ-Häftlinge Magdeburgs erwähnt er
mit keinem Wort. Die Erschießungskommandos ebenfalls nicht. Auch von den
Todesmärschen gegen Kriegsende fehlt jede Spur im Text. Dass Magdeburg
einer der wichtigsten Rüstungsstandorte für den Vernichtungskrieg war -
geschenkt!
Ihr
werdet es mitbekommen haben: wir sind wütend. Wir sind wütend, dass
fast 70 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus durch die
Allierten, wieder Versuche unternommen werden, die Rolle Magdeburgs und
der Magdeburgerinnen und Magdeburger im Nationalsozialismus nicht nur zu
retuschieren, sondern zu verschleiern. Wir findet es zum Kotzen und
bezeichnend, dass dieses braune Kapitel der Stadtgeschichte ausradiert
werden soll, um die Erzählung der angeblich "Großen Geschichte
Magdeburgs" nicht zu gefährden. Wir sind traurig, dass es im Jahr 2014
immernoch möglich ist, derartig gefährlichen Geschichtsrevisionismus
prominent im öffentlichen Raum zu platzieren. Diese Ausstellung gehört
eingestampft und auf den viel zitierten Müllhaufen der Geschichte. No
pasarán! Gegen Opfermythen und Geschichtsrevisionismus!
[1] Auf der Webseite des City Carré heißt es: "Die Idee zu dieser Zeitreise hatte Conrad
Engelhardt. Der Journalist ist hauptberuflich Redaktionschef des
Magdeburger Stadtmagazins DATEs, und nebenberuflich Hobby-Historiker und
Fotograf, den vor allem die Magdeburger Geschichte sehr am Herzen
liegt. Zu Magdeburg hat er bereits mehrere Stadtführer
veröffentlicht."
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