Bericht zur Bildungsfahrt in die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen am 20. September 2014
"Einmal
wird dieser schreckliche Krieg doch aufhören, einmal werden wir auch
wieder Menschen und nicht allein Juden sein." (Anne Frank, Tagebuch)
Wie schon im letzten Jahr veranstaltete die Linksjugend ['solid] Sachsen-Anhalt eine große Bildungsfahrt zur historischen Bildung. Am 20. September fuhren wir mit 19 Interessierten, Mitgliedern und Sympathisant*innen in die KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen nach Niedersachen.
Bergen-Belsen ein Ort des Grauens, dem das Grauen heute kaum noch anzusehen ist. Das ehemalige Lagergelände ist inzwischen stark zugewachsen und gleicht eher einem verwilderten Park mit gepflegten Wegen als einem Ort, an dem zehntausende Menschen auf grausame Art und Weise ihr Leben verloren haben. Im Zuge der Befreiung im April 1945 wurden sämtliche Baracken, Wachtürme und Zäune niedergerissen und verbrannt - aus Furcht, die unzähligen Epidemien im Lager könnten sich auf die Überlebenden, Befreier und Zivilisten ausbreiten. Nichts steht mehr. Beim Abschreiten der Pfade erinnern nur noch die Massengräber – nur erkennbar an der Wölbung und die an den Fronten angebrachte Anzahl der hier beerdigten Toten – einige wenige symbolische Grabsteine, Gedenkplastiken und Ausgrabungsstellen an das, was hier vor 70 Jahren geschehen ist. Es ist bedrückend, an einem Ort zu sein, der sich den Besucher*innen vordergründig "idyllisch" präsentiert und gleichzeitig diese Vergangenheit hat, ein Ort, an dem massenhaftes Sterben zum Alltag gehörte.
Das
Lager, dessen Ursprung in einer Arbeitersiedlung für die nahegelegene
Wehrmachtskaserne liegt, Kriegsgefangenenlager
für Belgier und Franzosen, später, nach Mussolinis Sturz 1943, auch für
italienische Soldaten, genutzt. Mit dem Überfall auf die Sowjetunion im
Jahr 1941 wurde Bergen-Belsen stark erweitert, um sowjetische Gefangene
zu internieren, die hier dann schon unter unmenschlichsten Bedingungen,
teils unter freiem Himmel und ohne Nahrungsversorgung dahinvegetieren
und zu Tausenden an Krankheiten und Hunger sterben mussten. Im späteren
Kriegsverlauf wurde das Lager von der SS übernommen und zunächst als
sogenanntes "Austauschlager" - es sollte das einzige im Deutschen
Reich bleiben - betrieben. In dieser Zeit wurden vorzugsweise
prominente oder sehr vermögende Jüdinnen und Juden mit Familie im
Ausland inhaftiert, um sie gegen in den USA oder Lateinamerika
internierte Nazis auszutauschen. Die damaligen Häftlinge hatten etwas
bessere - sofern dieser Superlativ überhaupt angebracht ist -
Lebensbedingungen, da das Überleben der "Austausch-Juden" sowie ein
einigermaßen zufriedenstellender Gesundheitszustand unbedingt
gewährleistet werden sollte. Die horrenden Forderungen der Nazis waren
aber kaum erfüllbar, sodass den Inhaftierten bald dasselbe Schicksal
blühen sollte, wie allen anderen, die nach Bergen-Belsen deportiert
worden sind. Bis zum Ende des Krieges wurde es dann als
„Evakuierungs-Lager“ für die geräumten Konzentrations- und
Vernichtungslager des Ostens genutzt. Auf einem solchen Transport aus
Auschwitz kam auch Anne Frank am 30. Oktober 1944 nach
Bergen-Belsen, wo sie im März 1945 kurz vor der Befreiung und kurz nach
ihrer Schwester Margot gestorben ist.
wurde schon kurz nach Kriegsbeginn als
Neben
dem eigentlichen Lagerkomplex wurde die Gedenkstätte immer mehr
erweitert. Als 1952 die Erinnerungsstätte eröffnet wurde, diente sie
eher der eigenen Schuldabwehr – seht her, wir setzen uns ja mit unserer
Geschichte auseinander – aber kaum der Sühne, Mahnung und
Aufarbeitung. So ist es auch zu erklären, dass damals nur ein paar Wege
über das Lagergelände angelegt wurden, um sie auch ausländischen
Würdenträgern zu zeigen. Erst sehr viel später wurde ein Museum und
eine Begegnungsstätte errichtet, die sich ernsthaft mit der Geschichte
des Lagers auseinandersetzt. Teilweise sind die dort gezeigten Dinge
kaum zu ertragen, so die 23 Minuten Original-Filmaufnahmen der
britischen Armee, die das Lager nach der Befreiung zeigen; mit all dem
Grauen, dem die Opfer auch noch nach der Befreiung ausgesetzt waren.
Denn auch nachdem die Briten das KZ befreiten, starben noch mehr als
10.000 Menschen an Hunger, Krankheit und Erschöpfung auch wenn alles
unternommen wurde, sie zu retten. Auch wie tausende Leichen in
Massengräber getragen und diese Arbeit später von Bulldozern übernommen
wurde, weil es nicht schnell genug ging – zur Eindämmung von Seuchen
aber unumgänglich war – lässt einen tieftraurig und emotional
schockiert zurück. Es sind Bilder, die sich ins Gedächtnis einbrennen.
Und wenn man an dieser Stelle dann auch noch erfährt, dass es immer
wieder Hakenkreuz-Schmierereien und Sachbeschädigungen am Gelände gibt,
ist das ungleich schwieriger zu verarbeiten.
Die
Fahrt nach Bergen-Belsen hat viele von uns nachdenklich zurückgelassen,
mit dem Gefühl, dass wohl niemand auch nur annähernd nachvollziehen
kann, welches Leid die Opfer der Deutschen ertragen mussten. Dieser Ort
lässt nur kalte Herzen kalt. Es ist aber ein Ort, an dem die Gewissheit
unbändig wird, genau das Richtige zu tun, alles zu tun, noch mehr zu
tun, damit diese Gräuel nie wieder geschehen. Nie wieder. Unserer
antifaschistischen Verantwortung folgend ist es eine Pflicht, die
Erinnerung an die Barbarei des Nationalsozialismus stets zu erneuern,
aber gleichzeitig vor aktuellen faschistischen, rassistischen,
nationalistischen, antisemitischen und sozialdarwinistischen Tendenzen
in der Welt zu warnen. Frei nach Adorno: nicht die Rückkehr der
Alt-Nazis ist zu befürchten, sondern das Fortleben des
Nationalsozialismus innerhalb der Demokratie.
Zum
Schluss möchten wir uns bei allen Teilnehmenden und den FahrerInnen
bedanken, aber auch und ganz besonders beim hervorragenden Guide sowie
der Gedenkstätte!
Quelle: Landesverband
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