Hallo liebe
Menschen,
ich freue
mich, dass trotz der Kurzfristigkeit doch so viele
gekommen sind, um hier anlässlich des Unions-Fraktionsspitzentreffens für eine
neue, humanere Flüchtlingspolitik zu demonstrieren. 150 Vorsitzende diverser
Unions-Fraktionen aus Deutschland befinden sich seit Sonntag in diesem Hotel
hier hinter uns, um sich vorrangig auf eine gemeinsame Marschroute in Sachen
Asylverhinderungs- und Flüchtlingsbekämpfungspolitik zu verständigen. Niemand
geringeres als die Bundeskanzlerin Angela Merkel stattete der Konferenz gestern
einen Besuch ab. Und für heute ist Bundesinnenminister Thomas „Mr. Coldheard“
de Maizère angekündigt bzw. war angekündigt, an dessen brutal-eiskalte Reaktion auf den Tod von über
1300 Menschen im Mittelmeer im April 2015 ich mich immer erinnern werde: „Würden
wir jetzt jeden, der im Mittelmeer ankommt, einfach aufnehmen nach Europa, dann
wäre das das beste Geschäft für die Schlepper, was man sich denken könnte. Das
wäre Beihilfe für das Schlepper-Unwesen". Heute, drei Tage nach dem Weltflüchtlingstag, hat die Europäische Union
dann übrigens auch den Militäreinsatz gegen Flüchtlingsboote und ihre Besitzer
gestartet, gegen die, die sie früher „Fluchthelfer“ nannten und heute als
„Schlepper“ bezeichnen - auch und gerade auf Initiative dieser Bundesregierung
bzw. dieses Innenministers hin. Es ist ein Krieg gegen Menschen auf der Flucht.
Den Medien
war gestern zu entnehmen, dass man sich darauf geeinigt hätte, Menschen
Was hier passiert ist nichts
anderes als die Einteilung von Menschen auf der Flucht in zwei Klassen: gute,
„verwertbare“ Flüchtlinge und schlechte, nicht verwertbare Flüchtlinge, die
schnell abgeschoben gehören. Am 18. Juni einigten sich Bund und Länder bereits
darauf, Geflüchtete ohne „Bleibeperspektive“ bis zur Schnellabschiebung in den
Erstaufnahmeeinrichtungen der Länder zu behalten. Sie sollen gar nicht erst auf
die Landkreise verteilt werden, sondern bis zu ihrer Direktabschiebung
desintegriert und isoliert bleiben, während Geflüchtete, denen eine
„Bleibeperspektive“ angesonnen wird, schneller in den Genuss beispielsweise von
Sprachkursen kommen sollen. Dass dies der elementaren Logik des Asylrechts, die
jeweiligen Fluchtgründe individuell zu prüfen, widerspricht, ist eindeutig. Es
soll selektiert und sortiert werden – und zwar nach Nützlichkeitskriterien.
Diese Verwertungslogik atmet nicht nur eine gehörige Portion Kapitalismus,
sondern auch Menschenfeindlichkeit. Es ist langsam müßig, daran zu erinnern,
wozu die Einteilung von Menschen in die Kategorien „nützlich“ und „unnützlich“
in der Historie, explizit der ganz eigenen deutschen Geschichte, geführt haben.
Doch es kommt noch schlimmer:
diese Massenabfertigung soll ab 2016 in vier sogenannten „Entscheidungszentren“
vollzogen werden. Dazu will das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2000
neue Mitarbeiter einstellen. Es steht zu befürchten, dass diese dann massenhaft
und textbausteinartig Ablehnungsbescheide herausschicken, ohne die betreffende
Person, die um Asyl bittet, jemals gesehen zu haben. Es ist also einmal mehr
die Stunde des bürokratischen Verwaltungshandelns, die Stunde der
Schreibtischtäter, die unfassbar weit entfernt sind vom persönlichen Schicksal,
dass jeder Flüchtling mit sich herum schleppt. Davon betroffen sind inbesondere
Roma aus den Balkan-Staaten, die die Bundesregierung in völliger Ignoranz zu
„sicheren Herkunftsländern“ erklärt hat, obwohl Roma dort nach wie vor
individuell, strukturell und institutionell diskriminiert werden, etwa auf dem
Arbeitsmarkt oder in der Gesundheitsversorgung. Pro Asyl schreibt dazu:
„Da die Kapazitäten der EAE’s hierfür
nicht ausreichen, werden wohl Außenstellen als Satelliten der EAE’s errichtet
werden – in der Vergangenheit waren dies unter anderem ehemaligen Möbelhäuser,
Turn- und Lagerhallen. Dort würden Roma, Westafrikaner und andere unliebsame
Flüchtlingsgruppen unter prekären Bedingungen leben. Hierdurch droht nicht nur
eine zusätzliche rassistische Stigmatisierung, auch eine individuelle Beratung
sowie Hilfen für vulnerable Gruppen wie Kinder, Schwangere und Traumatisierte
würden erheblich erschwert.“
Auf
parlamentarischer Ebene ist es vor allem diese CDU, deren Spitzenfunktionäre
sich
Es gibt aber
eine Sache, die den Abschiebeapparat gerade mächtig ankotzt: es sind die zahlreichen
engagierten Menschenrechtsaktivist*innen, die Abschiebung um Abschiebung
blockieren, zuletzt drei Mal erfolgreich in Magdeburg und Calbe (Saale). Auch
darüber bzw. über den Umgang damit wollen die Unions-Fraktionsspitzen beraten,
ist der Presse zu entnehmen. Oberbürgermeister Trümper von der SPD und
Innenminister Stahlknecht, CDU, hatten zuletzt schon angekündigt, diesbezüglich
härter durchgreifen zu wollen, bis hin zur Anzeige wegen Hausfriedensbruch.
Doch von derartigen Muskelspielen und Repressionsandrohungen sollten wir uns
nicht einschüchtern lassen, denn letztendlich geht es dabei um ein höheres Gut
als die von Menschen und Parteien gemachte rassistische Verwaltungspraxis des
Abschiebens, es geht nämlich um Menschenrechte, um nichts geringeres als den
Schutz von Menschen, manchmal sogar Menschenleben. Der Fall der aus Albanien
stammenden Familie Xhafei verdeutlicht das ganz gut: trotz eines
gynäkologischen Gutachtens über die Reiseunfähigkeit der in der 32. Woche
schwangeren Mutter sollte die Familie abgeschoben werden. Das Attest hatte das
Sozialamt nicht interessiert. Die Schwangerschaft ist eine
Risikoschwangerschaft. Ab der 28. Woche verlangen Fluggesellschaften bereits
Reisefähigkeitsbescheinigungen. Das lag hier nicht vor. Es bestand Gefahr für
Leib und Leben des Ungeborenen sowie der Mutter. All das interessierte die
Behörden nicht. Und es kam noch schlimmer als sie vier Tage nach der
verhinderten Abschiebung einen erneuten, unangekündigten Versuch unternahmen,
der aber fehlschlug, weil die zwei-jährige Tochter im Krankenhaus lag. Sie lag
im Krankenhaus und rang um ihr Leben, denn sie erlitt einen
Blinddarmdurchbruch. Die ersten Symptome zeigten sich schon am Mittwoch.
Medizinischer Behandlungsanspruch? Fehlanzeige, denn schließlich stoppten die
Behörden sämtliche Leistungen für die Familie. Sie sei ja nun illegal hier. Die
Kleine wurde also viel zu spät in Behandlung begeben und musste dann
notoperiert werden, erlitt eine Blutvergiftung, hing an Schläuchen, kämpfte um
ihr Leben. Und sie schaffte es, dank einer hervorragenden Uniklinik in
Magdeburg. Hier wäre fast ein Kind gestorben! Es wäre gestorben am durch und
durch auf Abschreckung und Flüchtlingsbekämpfung setzenden Asylsystem in dieser
Bundesrepublik. Also ja, verdammt, wir werden immer und immer und immer wieder
Abschiebungen blockieren, um diese Menschen, denen Hunger, Armut, Verfolgung
oder gar der Tod in ihren Herkunftsländern droht, davor zu schützen! Ziviler
Ungehorsam ist in diesem Fall nicht nur legitim, sondern absolut richtig und
wichtig.
59,5
Millionen. Das ist die aktuelle Anzahl derer, die weltweit auf der Flucht sind.
Die allermeisten davon fliehen vor Krieg. Es sind beispielsweise 11,6 Millionen
Menschen aus Syrien, 4,1 Millionen aus dem Irak, 4 Millionen aus dem Kongo, 2,5
Millionen aus dem Südsudan, 1,8 Millionen aus Pakistan, 1,5 Millionen aus
Zentralafrika, über 1 Million aus der Ukraine. Und so weiter. Noch nie zuvor
war die Zahl Geflüchteter so hoch. Und sie wird vermutlich noch steigen, denn
neue Konflikte entbrennen, neue Fluchtursachen entstehen, etwa wenn wir an die
klimatischen Entwicklungen in der Welt denken. Mal ganz abgesehen vom
menschenrechtlichen Grundanspruch auf Asyl sowie der Vision der grundlegenden
Freizügigkeit in der Welt: jede Waffe, die Deutschland exportiert, jede
Waffenfabrik, die deutsche Unternehmen irgendwo auf der Welt bauen, jeder
Militäreinsatz, an dem Deutschland beteiligt ist und jede Stabilisierung
despotischer, diktatorischer Regime führt dazu, dass Menschen flüchten müssen.
Dieses Land ist systemisch und strukturell unmittelbar beteiligt daran, dass
Menschen entwurzelt werden, ihr Hab und Gut verlieren, sämtlicher
Lebensgrundlagen beraubt werden, ihre Familie verlieren, sterben. Und es zeigt
sich nicht bereit, dieser unmittelbaren Verantwortung dahingehend gerecht zu
werden, mehr Geflüchtete aufzunehmen. Im Gegenteil. Es setzt Reihe um Reihe auf
die ohnehin schon tödlich hohe Mauer, die Europa inzwischen umgibt. Es arbeitet
akribisch daran, diese Festung mit all ihren Institutionen, hier sei nur mal
FRONTEX genannt, noch stärker zu bewaffnen. Dieses Handeln ist nicht nur
verantwortungslos, es ist schlichtweg menschenfeindlich. Wir wollen das nicht
länger hinnehmen. Wir wollen nicht länger tatenlos dabei zusehen, wie Menschen
an den europäischen Außengrenzen sterben müssen oder hier in Deutschland
diskriminiert und entwürdigt werden. Wir werden den handelnden Akteur*innen
keine Ruhe lassen, wenn sie sich in solchen Runden wie der heutigen treffen
wollen, um ihre menschenfeindliche Politik konzertiert zu beschließen – und wir
werden weiterhin zivil ungehorsam sein, wenn Menschenrechte mit Füßen getreten
werden. Wir wollen ein anderes Europa, eine andere Welt, eine Welt ohne
Grenzen, Kriege, Armut und Unterdrückung – lasst uns daran arbeiten, gemeinsam,
entschlossen und solidarisch.
Vielen Dank!
*Robert Fietzke, Mitglied im Vorstand des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt
*Robert Fietzke, Mitglied im Vorstand des Flüchtlingsrat Sachsen-Anhalt
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