Dienstag, 12. März 2013

Ich verschwör' dir gleich eine!

Bericht zur Veranstaltung am 08.03.: Verschwörungstheorien und Schlussfolgerungen für die politische Linke

Was zeichnet Verschwörungstheorien aus? Wie erkennt man eine Verschwörungstheorie und was unterscheidet verschwörungsideologisches Denken von gesundem Misstrauen gegenüber bestimmten Mechanismen und Systematiken, die tatsächlich existieren? Am vergangenen Freitag haben sich über 30 Interessierte mit diesen und anderen Fragen beschäftigt.

Referent Tilman Loos, jugendpolitischer Sprecher der LINKE. Sachsen und Genosse der Linksjugend ['solid] Leipzig, bot in seinen Ausführungen einen Überblick über die Historizität bestimmter Verschwörungstheorien und erläuterte, nach welchem Muster die meisten dieser "Theorien", die keine sind, denn dazu fehlt ihnen schlichtweg die Wissenschaftlichkeit, konstruiert werden.

Die Verschwörer
...sind im Duktus der Verschwörungstheoretiker_innen jene, die sich gegen etwas verschworen haben. Zumeist werden damit bestimmte Autoritäten, Eliten, Minderheiten oder Jüdinnen und Juden assoziiert. Ob Freimaurer-Logen, die Wallstreet-Banker_innen, die Bilderberger_innen, das oft kolportierte Bild des "bolschewistischen Weltfinanzjudentums" oder das Ancien Régime kurz vor der französischen Revolution, ihnen allen war und ist gemein, als (Geheim)Kreis von Menschen assoziiert zu werden, die sich gegen andere Menschen verschworen haben.

Die Absichten
...seien, zum Teil in Pinky&Brain-Logik, natürlich nichts geringeres als die Weltherrschaft. Manchmal gehe es aber auch nur um schnöden Profit. Oder um Macht im Allgemeinen. Im Widerspruch dazu werden die Verschwörer_innen oft als das "absolut Böse" dagestellt und bräuchten daher gar keine Absichten um destruktiv zu handeln.

Die Methode(n) und Eigenschaften
...der Verschwörer_innen: Diese sind natürlich hinterlistig, durchtrieben und mächtig - interessanterweise steigt die Assoziation von Macht umso mehr, je kleiner die Gruppe derer ist, die zum Kreis der Verschwörer_innen hinzugezählt werden - und sie treffen sich immer konspirativ. Die Verschwörer_innen seien zumeist Geheimorganisationen, die mit ihren Geheimplänen überlichweise hinterm Berg halten - schließlich sollen die Pläne zur Ergreifung der Weltherrschaft ja im Verborgenen bleiben.

Opfer
...von Verschwörungen ist immer die Mehrheit (der Untertan_innen) oder wahlweise "das Volk".

Die Verschwörungstheoretiker_innen
...haben ein Problem: ihr Glaube, als eine_r unter Tausenden etwas "durchschaut" zu haben, wovor die ganze Welt die Augen verschließt, macht sie in ihrer eigenen "Logik" zu etwas ganz Besonderem, ganz Schlauen. Niemand stürzt gerne vom hohen Podest des "Wissenden". So ist die Autoimmunisierung bei Verschwörungstheoretiker_innen auch ein tiefenpsychologisches und soziales Problem, denn die Chance, mittels Rationalität am Gedankengebäude des_der Verschwörungstheoretiker_in zu kratzen, wird dadurch nicht größer. Ein Teufelskreis.

Antisemitische Karikatur
Allgemein kann man sagen, dass verschwörungsideologisches Denken schon lange existiert, aber insbesondere in der Zeit zwischen französischer Revolution und Ende des 2. Weltkrieges Hochkonjunktur hatte. Dies habe vor allem mit, so paradox das klingen mag, der Aufklärung zu tun. Diese hätte die Auseinandersetzung mit der eigenen Umwelt und den politischen und gesellschaftlichen Rahmungen befördert und da, wo Rationalität entsteht, kann auch Irrationalität gedeihen. Viele Prozesse, Mechanismen und Geschehnisse mussten auf einmal erklärt werden. Insbesondere simple und verkürzte Welterklärungen erfreuten sich dabei schon immer größter Beliebtheit. Ende des 18. Jahrhunderts entstanden so viele Verschwörungstheorien, die auch heute noch populär sein können (Freimaurer, Illuminaten usw.). Besonders in Zeiten großer Umbrüche werden demnach Fragen aufgeworfen, die die Entstehung von Verschwörungstheorien beförder(te)n. Ein Beispiel hierfür sind die zutiefst antisemitischen"Protokolle der Weisen von Zion" und die Russische Revolution von 1905.

Verschwörungsideologisches Denken greift dabei häufig auf Erklärungen zurück, die auf den ersten Blick plausibel erscheinen. Mittels pseudowissenschaftlicher "Beweise" versucht sich jede Verschwörungstheorie selbst zu immunisieren, sich also unangreifbar zu machen. Dies wird durch Projektionen und Zirkelschlüsse untermauert, die sich zwar kaum dekonstruieren lassen, die aber deutlich machen, dass es sich hierbei nicht um eine wissenschaftliche Welt- oder Phänomenerklärung handelt, sondern eben um eine Verschwörungstheorie.

Das Beispiel "9/11 - Inside Job"
Quelle: http://bit.ly/X3Ro7P
Eine der gegenwärtig beliebtesten Verschwörungstheorien - auch bzw. gerade bei Linken - will zum Ausdruck bringen, dass die Anschläge vom 11. September ein "Inside Job" waren, also entweder im Wissen der US-Administration und der CIA geschehen sind oder gar von US-Geheimdiensten geplant waren, um damit Kriegsgründe (Afghanistan) zu generieren, um so bspw. an Erdöl zu gelangen. Zur Untermauerung werden hierbei vermeintliche "hard facts" herangezogen, wie z.B. "Stahl kann bei den beim Feuer erreichten Temperaturen nicht schmelzen, also hätten die Türme nie einstürzen können. Vom CIA angebrachter Sprengstoff und kontrollierte Sprengungen haben dann letztendlich für den Einsturz der Zwillingstürme gesorgt". 
Weitere Legitimität erfährt die Inside-Job-"Theorie" durch die Beantwortung der bei Verschwörungsideolog_innen beliebte Frage "cui bono?" - wer profitiert? In der "Logik" verschwörungsideologischen Denkens ist es realistisch, dass die US-Regierung heimtückisch zwei Flugzeuge in eines ihrer größten Wahrzeichen fliegen lässt und dabei über 3000 Menschen draufgehen - und das nur, um sich Gründe zu schaffen, den Krieg gegen Afghanistan, den Krieg um Öl, den Krieg um Einflusssphären und letztendlich den war on terror in ressourcenreichen Regionen zu beginnen. Einige Abwandlungen gehen dabei noch einen Schritt weiter und machen die "jüdische Lobby in den USA" dafür verantwortlich, schließlich sei "dem Juden" schon immer daran gelegen, die Weltherrschaft zu erobern. Zur "Beweisführung" wird behauptet, es hätten sich zu diesem Zeitpunkt ungewöhnlich wenige Jüdinnen und Juden im World Trade Center befunden.

Nun kann man feststellen, dass die verschiedensten US-Regierungen nicht nur ein Mal mit "miesen Tricks" gearbeitet haben, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Erinnert sei hier an die Explosion der USS Maine im Hafen von Havanna [1], die zahlreichen Mordattentatsversuche auf sozialistische Regierungschefs in Lateinamerika [2] oder die Rolle der CIA beim Putsch Pinochets [3] und der damit verbundenen Zerschlagung des Allende-Sozialismus in Chile. Verschwörungstheoretiker_innen projizieren diese historischen Gegebenheiten auf andere historische oder gegenwärtige Ereignisse. Sie versuchen, anhand dieser einzelnen, differenziert zu betrachtenden und jeweils unterschiedlichen Verschwörungen allgemeingültige Aussagen über Mechanismen und Systematiken von (in diesem Fall) Regierungshandeln zu stricken. Phänomen A wird auf Phänomen B projiziert, um als vermeintlicher Beweis zu dienen. Dabei kann Phänomen B völlig anderer Natur sein oder hunderte von Jahren von Phänomen A entfernt liegen. Die selbstimmunisierende Wirkung gelingt dennoch meistens, weil die ins Feld geführten "Beweise" nicht nur mit dem Anschein größtmöglicher Plausibilität daherkommen, sondern auch das oftmals eigene Misstrauen in bestimmte Mechanismen nur bestätigen. Simplifiziert könnte man sagen: verschwörungstheoretisches Denken kommt insbesondere Ideolog_innen, die verkürzte Welterklärungen brauchen, wie der Hirte seine Herde, nicht nur sehr gelegen, es ist gar konstitutiv. 

Verschwörungen und die politische Linke
Veranstaltungsflyer
Verschwörungen sind existent, im Privaten (hier nennt man sie "Intrigen") wie im Politischen. Es gibt diese Komplottversuche. Das dürfte klar sein, seit Brutus Cäsar ermordete. Die Frage ist, ob alles in dieser Welt mit dieser Mechanismenhaftigkeit erklärbar ist und inwieweit das einem linken, progressiven und emanzipatorischen Selbstverständnis genügt. Gerade die politische Linke ist ja durchaus affin, wenn es um Verschwörungstheorien geht. Auch hier haben verkürzte Weltbilder wieder Hochkonjunktur, egal ob es um Krisenerklärungen geht ("Banker und Spekulanten") oder um politische Systematiken im Allgemeinen ("99% derer da unten gegen das 1% der Herrschenden da oben" #occupy). Wenn es darum geht, mittels Populismus Massen zu erreichen, ist es sicherlich ratsam, sich auf diese Erklärungsmuster zu beschränken. Allerdings darf bezweifelt werden, dass sich daraus praxistaugliche Politiken ableiten lassen, die fähig sind, Systeme und Konstrukte wie Patriarchat, Nation und Kapitalismus überwinden zu helfen. Gleichzeitig sei davor gewarnt, alles, was den Anschein erweckt, eine Verschwörungstheorie zu sein, von Vornherein als solche zu diffamieren. Ein derartiger Gesprächsabbruch bringt keiner Seite etwas und stärkt letztendlich nur die Irrationalität. Was zählt, so war nach der 3,5-stündigen Veranstaltung klar, ist die behutsame, offene, rationale und v.a. hinterfragend-kritische Herangehensweise an verschwörungsideologisches - oder scheinbar verschwörungsideologisches - Denken. 

Bedanken möchten wir uns bei allen Interessierten. Wir hoffen, dass ihr ein bisschen etwas mitgenommen habt. Besonderer Dank gilt natürlich dem Referenten Tilman, aber auch der Kochgruppe "Kochupy", die für uns leckeren veganen Aufstrich gezaubert hat!

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