Montag, 14. Januar 2013

Magdeburg Nazifrei? Bericht zum Naziaufmarsch und den Gegenaktivitäten am 12.01.2013

Seit Monaten riefen neonazistische Gruppierungen, allen voran die "Initiative gegen das Vergessen" rund um Andy Knape (Junge Nationaldemokraten) und Sascha Braumann (Blood & Honour), zum sogenannten "Gedenkmarsch" in Magdeburg am 12. Januar auf. Freie Kräfte, also autonome Nationalisten, wie auch NPD-Kreis- und Ortsverbände, versuchten möglichst viele "Kameraden" zu ihrer ideologisch-geschichtsverzerrenden Demonstration zu bewegen. Währenddessen mobilisierte das hiesige »Bündnis gegen Rechts« zu verschiedenen Aktionen und der nunmehr inzwischen fünften Austragung der »Meile der Demokratie«, die den Breiten Weg besetzt. Das »Bündnis Magdeburg Nazifrei« (MDNF) hingegen wählte einen anderen Aktionskonsens und mobilisierte speziell zu Massen- und Menschenblockaden als Akt des zivilen Ungehorsams, um sich den Nazis und ihrer Agitation direkt zu widersetzen. Erklärtes Ziel war es, den Naziaufmarsch komplett zu verhindern.
Als Linksjugend ['solid] und SDS.Die Linke Magdeburg haben wir versucht, uns besonders für die Blockadeversuche einzusetzen. Seit März engagieren sich viele unserer Genoss*innen im Bündnis Magdeburg Nazifrei. Wie auch schon im letzten Jahr wollten wir aber auch mit Hilfe eines Standes auf der »Jungen Meile der Demokratie« spontan Blockierwillige mobilisieren. Weiter sollte unser Stand als Informationspunkt für Antifaschist*innen generell und Besucher*innen der »Meile der Demokratie« im besonderen fungieren. Unser Anliegen war es, klare Bezugspunkte zum Anlass des Tages, dem Aufmarsch von Neonazis, zu setzen, indem wir politische Inhalte vermitteln und über Nazi-Aktivitäten aufklären. Die »Meile der Demokratie« muss unser Ansicht nach ein Ort der Aufklärung und Vernetzung bleiben und Leute weiter für neonazistische Umtriebe sensibilisieren, ohne dabei zu einem reinen Volksfest zu werden.


Der »Gedenkmarsch«

Nachdem sich bereits im Vorfeld die Zeichen verdichteten, dass die Nazis ihre Route in einen - so der verantwortliche Kommunalbeigeordnete Holger Platz - bisher nicht von den Nazis heimgesuchten Stadtteil legen werden, sickerte Mittwoch Abend die Information durch, dass der revisionistische »Gedenkmarsch« in den Stadtteilen östlich der Elbe, also Herrenkrug, Brückfeld und Cracau, stattfinden sollte. Durch eine konzentrierte Mobilisierung durch MDNF, fanden sich am Samstagmorgen ca. 300 Antifaschist*innen zusammen und installierten gegen 10:00 Uhr auf Höhe der Fachhochschule Magdeburg eine erste Sitzblockade. Zeitgleich versammelten sich bis zu 800 Menschen am Jerichower Platz bzw. an zwei Kundgebungsorten, die zuvor beim Oberverwaltungsgericht durchgesetzt wurden. Das verunmöglichte es den Nazis, ihre eigentlich dort anvisierte Route zu laufen.

Stattdessen, und durch eine Verwirrungstaktik der Polizei, die die Demonstrant*innen gezielt im Unklaren über die tatsächliche Route – und damit einer konkreten Demonstrationsmöglichkeit – der Nazis beließ, stiegen die ca. 900 Faschos statt am ostelbischen Bahnhof Herrenkrug nun im westelbischen Bahnhof SKET Industriepark (Schwermaschinenbau-Kombinat »Ernst Thälmann«) aus. Von dort zogen sie fahnenbehangen und unter Klängen Wagners in Dauerschleife über die Straße »Alt Fermersleben«. Nach einer kurzen Zwischenkundgebung wurden sie von der Polizei an dem linksemanzipatorischen Wohnprojekt »Libertäres Zentrum« (L!Z) vorbeigeleitet, was als klarer Affront gegenüber den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses zu bewerten ist. Nicht nur, dass die Polizeitaktik vorsah, Nazis an einem Ort vorbeizuleiten, das bereits des öfteren und wiederholt von Nazis angegriffen worden war, auch die Drohung der Polizei gewaltsam, mit Kettensäge, Flex und Brecheisen in das L!Z einzudringen, lässt uns fassungslos zurück. Wie Beatrix Mertens, Polizeisprecherin in Magdeburg, während eines Interviews mit dem »Offenen Kanal Magdeburg« berichtete, war das L!Z bereits länger Bestandteil einer von mehreren Ausweichrouten und keinenfalls spontan. Von polizeilicher Seite wurde den Nazis damit eine Machtdemonstration ermöglicht, die alle Gegendemonstrant*innen wissen lassen sollte, dass sie bereit sind, sich den Raum, den sie beanspruchen, jederzeit zu nehmen. Trotz dieses klaren Provokationsversuchs durch die Deutsch-Nationalen, ereigneten sich keine weiteren Zwischenfälle während der Kundgebung. Die Bewohner*innen und einige Hinzugekommene übertönten mit Töpfen und anderem Gerät die Nazi-Redner.
Der Marsch zog dann weiter gen Süden und kam zur Abschlusskundebung am Bahnhof Magdeburg Südost an, genauer gesagt auf dem Gelände einer Tankstelle - so viel zum "würdigen Gedenkmarsch", den die Nazis nun propagieren - von dem aus die aus ganz Deutschland angereisten Teilnehmenden über den Hauptbahnhof geleitet Magdeburg nach Kundgebungsende verließen.

Bereits zuvor war es hunderten antifaschistischen Demonstrant*innen seitens der Polizei verwehrt geblieben, ihren legitimen Protest gegen die Propaganda der FaschistInnen in Hör- und Sichtweite zu artikulieren. Den Demonstrant*innen, die sich zunächst am Jerichower Platz gesammelt hatten, wurde verwehrt, öffentliche Nahverkehrsmittel zu nutzen, um an die Route der Nazis zu gelangen. Mehrmals konnten wir beobachten, wie Greifer-Trupps der Polizei aus Straßenbahnen - auch auf der Meile selbst - schwarz gekleidete Personen teils gewaltsam entfernt hat. Ein spontaner Demonstrationszug von knapp 1300 Menschen, der sich aus den beiden ehemaligen Blockaden in Ostelbien zusammensetze, machte sich nach Bekanntgabe der Routenverlagerung dann auf den Weg gen Süden. Der überaus große, bunte und friedliche Demozug wurde jedoch schon an der Johanniskirche/Schleinufer äußerst gewaltsam gestoppt. Pfefferspray, Schlagstock-Einsatz und Kriegsgebrüll der Polizei führten zur Spaltung der verschiedenen Gruppen in verschiedene Richtungen. Die, die es doch irgendwie schafften unbehelligt über das Gelände der Meile zu kommen, wurden dann gleich auf Höhe des Hasselbachplatzes am Weiterkommen gehindert. Trotz dessen, dass an diesem Ort noch weitere 9 Kilometer Fußweg zum »Gedenkmarsch« vor den Antifaschist*innen gelegen hätten, verwehrte die Polizei ihnen das Durchkommen. Später wurden in der Hegelstraße ca. 800 Demonstrant*innen, die sich auf den Weg zum Bahnhof Buckau machten, eingekesselt und laut Berichten massiv mit Schlagstöcken und Pfefferspray unter Kontrolle gehalten, während die Polizei Bemühungen von Anwälten und einiger MdLs, eine Spontandemonstration anzumelden, konsequent verzögerte.

Nach Abschluss der Kundgebung der NationalsozialistInnen und deren Abreise über das zentrale Bahnkreuz, versuchten ca. 1500 Gegendemonstrant*innen letztlich, am Hauptbahnhof direkt zu demonstrieren, was ebenfalls unter enormer physischer Gewalteinwirkung seitens der Polizei unterbunden wurde. Es gab mehrere Verletzte, von denen mindestens eine Person am Kopf blutend zusammenbrach, liegen blieb und anschließend ambulant behandelt werden musste. Die im Einsatz befindlichen freiwilligen Sanitäter*innen veröffentlichten am Ende des Tages ihre Statistik: mindestens 100 Verletzte auf Seiten der Gegendemonstrant*innen - in den allermeisten Fällen ging es um die Behandlung nach einem Pfeffersprayangriff oder Schlagstockeinsatz - und 19 verletzten Polizist*innen. Damit ist allerdings nicht zu rechtfertigen, dass auch vereinzelt Flaschen aus den Reihen der Demonstrant*innen geworfen wurden, da jede*r einzelne Verletzte bereits zu viel ist.

Der Tag bot mehrere Teilerfolge

Wenngleich keine Blockade derart realisiert werden konnte, dass die Neonazis komplett am Marschieren gehindert wurden, bleibt festzustellen, dass die breite und überregionale Mobilisierung hin nach Magdeburg als Erfolg verbucht werden kann. Dem Vorbild Dresden folgend zeigt sich, dass je mehr Menschen sich an antifaschistischen Demonstrationen beteiligen, desto weniger Nazis gewillt sind, ihre Propaganda auszuschlachten, da selbst bei ihnen ankommt, dass sie mit der Verteidigung ihrer Ideologie kein »Sprachrohr einer schweigenden Mehrheit« sind.
Bereits die Ankündigung Massenblockaden durchführen zu wollen, demoralisierte die Braunen derart, dass statt der erwarteten bis zu 2000 nur 900 an dem »Trauermarsch« teilnahmen und somit knapp die Hälfte gleich ganz zuhause blieb. Viele Nazigruppen, die bereits in der Stadt waren, schafften es nach der recht spontanen Routenverlagerung dann nicht mehr zum Auftaktkundgebungsort. Auch dafür waren die Blockaden in Ostelbien sowie die Situation in der Innenstadt maßgeblich.
Die Sammlung mehrerer Hundert Gegendemonstrant*innen vereitelte den nazistischen Plan des Marsches durch den Stadtteil Herrenkrug und zwang die Nazis in den propagandistisch wenig attraktiven Stadtteil Alt-Salbke mit hohem Häuserleerstand und Industrieanteil ausweichen zu müssen.

Die Eskalationen, die mehrheitlich von Seiten der eingesetzten Hundertschaften der Polizei aus insgesamt 9 Bundesländern ausging, bedürfen einer akribischen Aufarbeitung. Menschen wurden teils einfach aufgrund einer schwarzen Jacke daran gehindert das Gelände der »Meile der Demokratie« zu betreten, in ihre Wohnungen zu gelangen oder wurden surreal intensiv durchsucht, wie uns beispielsweise eine teilnehmende Person der Meile erzählte, als sie nach der Investigation ihres Rucksacks durch die Polizei selbige am Inhalt einer Thermoskanne (warmer Tee) hat riechen lassen müssen, da man ihr offensichtlich misstraute.
Die Einkesselung hunderter Demonstrant*innen, die von ihrem legalen Recht auf Protest in Hör- und Sichtweite Gebrauch machen wollten, ist unerträglich für uns Demokrat*innen und wirft Fragen über das Demokratieverständnis Innenministers Holger Stahlknechts auf, der im Vorfeld nicht müde wurde, Gegendemonstrant*innen kollektiv als »gewaltbereit« zu stigmatisieren und bei der sich gegründeten parlamentarischen Kontrollkommission zur Beobachtung von Übergriffen durch die Polizei von »Sittenverfall« zu reden.

Gestern ist bekannt geworden, dass die Nazis den zweiten »Gedenkmarsch«, der für den kommenden Samstag (19. Januar 2013) geplant war, abgesagt haben. Zwar beteuern die Nazis dazu im Internet den zweiten Marsch aufgrund eines gestern davongetragenen Siegs getrost absagen zu können, überspielen damit aber unserer Einschätzung nach einfach geflissentlich das demoralisierende Moment der diesjährigen breiten gesellschaftlichen Proteste, die auch vor dem regional beworbenen Termin keinen Halt machen. Auch das verbuchen wir als einen Teilsieg für diejenigen Leute, die sich den Nazis gestern bei eisiger Kälte und unter starken Repressionswirkungen entgegengesetzt haben.

Dass ein entschiedenes Auf- und vor allem Entgegentreten gegenüber den Neonazis von entscheidender Wichtigkeit ist, zeigt, dass es nach dem Marsch in Magdeburg gestern noch zu einem Nazi-Überfall auf Antifaschist*innen in der Stadt Burg gekommen ist. Mehrere Linke wurden von einem Mob Nazis angegriffen und mussten ambulant behandelt werden. Die Neonazis mögen in den medial veröffentlichen Bildern während ihrer Demonstrationen ruhig und friedlich wirken, offenbaren aber bei der erstbesten Gelegenheit, wenn keine Kameras oder öffentliches Interesse mehr auf sie gerichtet ist und sie nicht mehr von ihren eigenen KameradInnen im Zaume gehalten werden, ihr wahres Gesicht. Faschismus ist unweigerlich mit Gewalt verbunden und ist und bleibt ein Verbrechen.

Wir danken den Gegendemonstrant*innen

Wir danken allen Antifaschistinnen und Antifaschisten, Bürgerinnen und Bürgern, die sich unserem Ziel, den Nazis - dem Faschismus - keinen Fußbreit zu überlassen, angeschlossen haben und hoffen auch im nächsten Jahr auf eure Unterstützung, so dass es 2014 wieder heißt: ¡No Pasarán! Sie kommen nicht durch. Und diesmal tatsächlich nicht.

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