Montag, 19. März 2012

Die Angst vorm Extremisten

zur gemeinsamen Erklärung aller Stadtratsfraktionen vom 15. März


Bildquelle: Dieter Schütz / pixelio.de
Um eines vorweg zu nehmen: Linksjugend ['solid] und SDS.Die Linke Magdeburg lehnen Gewalt grundsätzlich ab. Politische Auseinandersetzungen müssen mit Worten und friedlichen Protestmethoden geführt werden, statt mit Fäusten. Dabei wissen wir uns, wie in vielen anderen Punkten auch, mit unserer Partei im Einklang.

Es ist von daher nicht falsch, wenn unsere Stadtratsfraktion zusammen mit allen anderen eine gemeinsame Erklärung abgibt, um sowohl die wiederkehrenden Angriffe auf unsere Wahlkreisbüros zu verurteilen, als auch Pöbeleien gegen FDP- und CDU-Mitglieder auf der Meile der Demokratie sowie Angriffe auf Polizist_innen zu kritisieren.

Falsch ist jedoch, wenn diese Erklärung dazu dient, um vor „politischen Extremisten“ zu warnen und den Neonaziaufmarsch mit "Krawallen von Linksautonomen" in einem Atemzug zu nennen. Damit werden Begriffe und Bilder gestützt, die historisch und auch gegenwärtig vor allem für Eines missbraucht worden sind: den Kampf gegen linke Ideen und antikapitalistische Politik.

Die Extremismusdoktrin funktioniert nach dem Hufeisenmodell von Eckhard Jesse, seines Zeichens Professor in Chemnitz und Warner vor der „Überbewertung des rechtsextremen Potentials“ in Deutschland. Diesem Modell zufolge haben wir eine "gute" demokratische Bevölkerung in der Mitte der Gesellschaft und die linken und rechten Enden des Hufeisens nähern sich in ihrem politischen Wollen an. Sie gefährden beide die so genannte freiheitlich-demokratische Grundordnung (fdGo) und müssen deswegen von Staatsseite entsprechend bekämpft werden. Herr Jesse hält übrigens DIE LINKE für eine extremistische Partei und findet deshalb deren Überwachung durch den Verfassungsschutz vollkommen richtig.

Dass die Extremismustheorie blanker Unsinn ist und keiner wissenschaftlichen Untersuchung standhält, gilt in Fachkreisen als unumstritten. Ihr stetes Fortleben ist deswegen schlicht politischer Natur: gerade Konservative und Liberale sehen sich selbst gern als Hüter_innen einer „sauberen“ und demokratischen Mitte der Gesellschaft – und blenden darüber wunderbar aus, dass Antisemitismus, Rassismus und Sexismus gerade aus Ressentiments entstehen, die in der so genannten "Mitte" zu Hause sind. 

Und diesem Feindbild schließt sich unsere Stadtratsfraktion jetzt mit großer Mehrheit und bei nur zwei Enthaltungen an? Stimmen wir jetzt schon Anträgen zu, die sich in ihrer Botschaft gegen unsere politischen Überzeugungen richten? Finden wir es gut, mit Begriffen zu hantieren, die Nazis mit Antifaschist_innen gleichsetzen – ohne eine genauere Prüfung von Sachverhalten abzuwarten?

Wir als Linksjugend ['solid] und SDS.Die Linke können diesem Antrag in dieser Form nicht zustimmen. Nicht nur sind wir entsetzt, dass ausschließlich die Meile der Demokratie als Widerstand gegen Faschismus und Rechtsextremismus erwähnt wird und damit die mutigen Aktivist_innen ausgegrenzt werden, die den Naziaufmarsch zeitweise erfolgreich blockiert und aufgehalten haben. Wir sind Antifaschist_innen und wissen, oft auch aus persönlichen Erlebnissen heraus, wie brutal und gefährlich Nazis sind. Wir lassen uns nicht in eine Extremist_innenecke stellen, nur weil wir diese auf Ausbeutung basierende Gesellschaft zugunsten einer Gesellschaft überwinden wollen, in der Freiheit und Gleichheit aller kein Widerspruch mehr ist.

Liebe Stadtratsfraktion, beerdigt den Extremismusbegriff, nennt Rechtsextreme schlicht Nazis oder Faschist_innen und tretet für eine kritische Betrachtung der Extremismusdoktrin ein – damit wäre allen geholfen.


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Die Erklärung im Wortlaut


Alle Angriffe auf demokratisch gewählte Parteien und Vertreter werden auf das Schärfste verurteilt.
 
Gemeinsam verurteilen die im Stadtrat der Landeshauptstadt Magdeburg vertretenen Fraktionen die jüngsten Angriffe auf die Vertreter von demokratisch gewählten Parteien.
 
Die Attacken auf verschiedene Wahlkreisbüros, insbesondere von Landtagsabgeordneten der Partei DIE LINKE, sind für uns nicht tolerierbar.
 
Es gibt keine Rechtfertigung für die tätlichen Angriffe auf die Informationsstände bzw. deren personelle Besetzung der FDP und der CDU bei der 4. Meile der Demokratie und deren Vorgängerveranstaltungen.
 
Gemeinsam wenden wir uns gegen den Missbrauch des Gedenkens an die Opfer der Bombennächte vom 16. Januar 1945 in Magdeburg durch politische Extremisten. Dazu gehören sowohl der Aufmarsch durch Neonazis als auch die Krawalle und Angriffe auf Polizisten durch Linksautonome.
 
Wir stehen für eine demokratische Auseinandersetzung mit den Vorschlägen und Ideen der verschiedenen Parteien.
 
Wir danken allen Magdeburgerinnen und Magdeburgern, allen Verbänden und Vereinen, die am 14. Januar 2012 auf der Meile der Demokratie ein deutliches Zeichen für eine wehrhafte Demokratie gesetzt haben.

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