Mittwoch, 15. Februar 2012

Wir können die Welt verändern!

Bericht zur Veranstaltung mit Camila Vallejo 
08. Februar, Audimax der HU Berlin


(ag) Auf Einladung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) in Zusammenarbeit mit der Gewerkschaft Erziehung Wissenschaft (GEW) fanden in den letzten Tagen überall in der Republik Veranstaltungen mit Camila Vallejo, ehemalige Präsidentin des Federación de Estudiantes de la Universidad de Chile und Sprecherin der Confederación de Estudiantes de Chile und „Gesicht“ der Bildungsproteste in vergangenen Jahr, statt. Mitgereist waren außerdem Karol Cariola, die Generalsekretärin der Juventudes Comunistas de Chile (Kommunistischen Jugend) und Jorge Murúa, Mitglied der Leitung der Metallarbeitergewerkschaft Confederación Nacional de Trabajadores Metalúrgicos (CONSTRAMET).

Seit fast zwei Wochen touren die drei VertreterInnen nun schon durch Deutschland, gestern fand die Abschlussveranstaltung der Vortragsreihe im bis auf den letzten Platz gefüllten Audimax der Humboldt-Universität in Berlin statt. Hier hatte im Oktober 2010 auch der chilenische Präsident Sebastián Piñera gesprochen. Ihn und seine Regierung griff Vallejo in ihren Beiträgen immer wieder scharf an, denn schon seit Jahren wird in Chile ein strikter Kurs der Neoliberalisierung durchgesetzt, der maßgeblich für das prekäre Bildungssystem verantwortlich ist.

Schon 2006 begann sich eine Protestbewegung zu bilden, damals maßgeblich von SchülerInnen getragen, die vor allem gegen das L.O.C.E.-Gesetz protestierten, welches es so gut wie jedem ermöglicht, eine Schule selbst zu eröffnen und dafür staatliche Fördermittel zu beziehen. Nach und nach beteiligten sich auch immer mehr Studierende an der Protestbewegung und eine Kritik des Hochschulwesens fand Einzug in die Forderungen.

Das chilenische Bildungssystem ist sehr selektiv, die Qualität der Bildung hängt maßgeblich am Einkommen der Familie. Die Studiengebühren sind beispielsweise höher, als das monatliche Durchschnittseinkommen einer chilenischen Familie. So werden viele ChilenInnen von vornherein von höherer Bildung ausgeschlossen oder müssen sich schon frühzeitig hoch verschulden.

Weiterhin ist die Ausbildung an der Hochschule auch inhaltlich vom neoliberalen Politikkurs bestimmt, wie Vallejo verdeutlichte. Die Lehrinhalte sind eigentlich nur darauf angelegt, die Studierenden zum Gewinn-Streben zu erziehen, eine individuelle Gestaltung des Studiums ist kaum möglich und auch kritische Lehrinhalte sind so gut wie nicht vorhanden.
Die Bewegung ging daher schnell dazu über, nicht nur einzelne Forderungen zu stellen, sondern das komplette Bildungssystem umfassend in Frage zu stellen. Da jedoch die Hochschulen nicht im luftleeren Raum existieren, sondern Teil eines gesamtgesellschaftlichen Problems sind, ließ eine Gesellschaftskritik nicht lange auf sich warten. So wurde ein Vorschlag zur Reformierung des Steuersystems ausgearbeitet und generelle Veränderungen für das starre politische System gefordert. Das macht auch die Stärke der Bewegung aus, sagte Vallejo. Es sind schon lange nicht mehr nur Bildungsproteste es ist eine starke soziale Bewegung entstanden, die nicht nur aus SchülerInnen und Studierenden besteht, sondern ein Querschnitt durch die chilenische Bevölkerung bildet.

Dass es sich um eine umfassende Bewegung handelt, erklärte auch Jorge Murúa. Es unterstützen sich z.B. ArbeiterInnen und Studierenden gegenseitig bei ihren Protestaktionen. Das Agieren ist jedoch schwierig, Gewerkschafts-AktivistInnen sehen sich harten Repressionen ausgesetzt und die Regierung versucht eine gewerkschaftliche Organisierung zu verhindern. Es gibt ein krasses Verteilungsproblem bei den Löhnen und die Durchsetzung von Positionen ist durch ein Repräsentationsproblem in den Parlamenten kaum machbar. Daher versuchen die Gewerkschaften ihre Interessen durch Protest auf der Straße zu artikulieren, gemeinsam mit SchülerInnen, Studierenden, Hausfrauen, KünstlerInnen und und und. Diese übergreifenden Bündnisse sind wichtig für die Bewegung betonte Karol Cariola, denn dadurch, dass der Protest in der Bevölkerung breit verankert ist, schwinde auch der Zuspruch an die derzeitige Staatsmacht.
Nur noch 23 Prozent der ChilenInnen stehen aktuell noch hinter der Regierung. Neue politische Kräfteverhältnisse sind also nötig und möglich. Und das sei eben ein Verdienst der Bildungsproteste, meinte Vallejo. Politische Positionen wurden transportiert und neue politische Praktiken etabliert. Es finden überall im Land BürgerInnen-Versammlungen statt und eine neue Generation von politisierten Menschen ist angetreten, die neoliberale Hegemonie in Chile zu brechen.

In einer schwierigen Position ob der großen und erfolgversprechenden Proteste in Chile befanden sich die deutschen Gäste an diesem Abend, Paula Rauch, Bundesgeschäftsführerin des Studierendenverbandes DIE LINKE.SDS und Andreas Keller, Vorstandsmitglied der GEW.
Rauch verglich die Situation von Chile und Deutschland und fand schon gemeinsame Ansatzpunkte. Auch in Deutschland habe das Hochschulwesen einen krassen neoliberalen Umbau erfahren, als Höhepunkt mit der Umstellung auf das Bachelor/Master-System. Aktuell gebe es eine zwei-Klassen-Ausbildung an den Universitäten, in denen die Masse sich in einem verschulten Bachelor-Studium wiederfindet und nur einem sehr kleinen Teil der AbsolventInnen der Zugang zu einem Master-Platz gewährt wird. Die damit bezweckte Kostensenkung für ein Studium führe aber nicht dazu, dass die Hochschulen nun über eine ausreichende Finanzierung verfügen, die Studienbedingungen hätten sich sogar verschlechtert, betonte Rauch.

Übervolle Hörsäle und schlechte Betreuungsverhältnisse seien mittlerweile der Normalfall. Und das Problem betrifft nicht nur die Studierenden, meinte Keller, auch die Lehrenden sind betroffen. Die meisten HochschulleherInnen befänden sich in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Dies sei jedoch keineswegs ein auf einzelne Länder beschränktes Problem, sondern Teil des globalen Paradigmas von der „Bildung als Ware“. Daher seien auch globale Bewegungen nötig, um Forderungen nach einer besseren und gerechteren Bildungssystem umzusetzen, auch wenn dazu für jedes Land unterschiedliche Strategien notwendig sind.

Dies kann auch als Fazit des Abends gesehen werden. Die Probleme in den Ländern sind sich gar nicht so unähnlich, so wie es auch die Forderungen der Bewegungen nach einer Überwindung des herrschenden neoliberalen Diskurses sind. Was entscheidend ist, ist daher die internationale Vernetzung und länderübergreifende Bündnisarbeit, denn so ist es vielleicht möglich, dass wir die Welt zumindest ein kleines bisschen zum Besseren verändern können.

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